Friederike Janshen und Sabine Schönfeldt

   

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Die roten Handschuhe. Verkleidete Eingriffe im TATORT


Allgemeines

Thema dieses Symposiums ist: "Serialität: Reihen und Netze".
Wir sprechen von einer Fernseh-Serie. In Fernsehzeitschriften wird ihr das Genre "Reihe" verpaßt – und eben nicht "Serie". Der Unterschied ist für Fernsehprogrammmacher klar: Eine Serie ist zwar auch in sich abgeschlossen, hat aber mindestens einen Faden, der an der spannendsten Stelle mit dem Verweis auf die nächste Folge abreist. Eine Reihe dagegen ist in sich abgeschlossen. Das einzige, was die Reihen-Folgen miteinander verbindet, sind ihre konstanten Figuren. Das Versprechen des Wiedersehens ist mit ihnen garantiert.

Was macht die Fernseh-Reihe tatort zur Reihe?

"Der Mord zum Sonntag oder:

Leben und Sterben im "tatort"


tatort sehen und dann…

Zu den sonntäglichen kollektiven Erlebnissen in Deutschland zählt nicht nur das Wort, sondern auch der Mord zum Sonntag, der "tatort". Seit 1970 können wir diese Mordserie sehen, deren neueste Produktionen am heiligen Tag der Woche den Bruch mit den 10 Geboten präsentieren: es wird getötet, gehurt, gesoffen, geprügelt, geflucht und gehaßt, denn Hauptsache ist, daß die Kommissare und Kommissarinnen ihr immer wiederkehrendes Spiel der Aufklärung entfalten können. Die jeweilige Mordgeschichte an sich ist austauschbar, sie ist eine unverzichtbare Nebensache, denn sie erst macht den Alltag der Ermittlungsteams und damit das Leben zum eigentlichen Spektakel des Fernsehkrimis.
Es geht um das Verhältnis von Heiligem und Profanem und von Tabus und Tabubrüchen. Wie das Gesetz sein Verbrechen braucht, so der Witz seinen Ernst. Genau dieses sich gegenseitig bedingende Verhältnis ist es, das den "tatort" in Schwung hält. Ist der Tod schon an sich, und dann noch in Form eines Mordes, eine sehr ernste Angelegenheit, so braucht es nicht viel, um sein Pendant – das Leben – auf witzige Weise ins Spiel zu bringen. Was ist der Tod imstande, an Nebensächlichem in Bewegung zu bringen?

Betrachtet man die Serie "tatort" über die drei Jahrzehnte ihrer Ausstrahlung hinweg, überläßt die Eigendynamik des Nebensächlichen die eigentliche Mordgeschichte mehr und mehr sich selbst. Ob sie verständlich und durchschaubar wird, hat nicht mehr oberste Priorität. Wichtiger ist, daß das Nebensächliche, der Umgang der Kommissare und Kommissarinnen miteinander und mit dem Ernst der Lage an Kontur gewinnt. Da darf es schon mal absurd werden, wie etwa im Volksmusik-tatort.
Der Volksmusik-tatort ist nebenbei bemekt ein irrwitziger und typisch bayrischer tatort. Unglaublich anstrengend anzusehen – und anzuhören: Volksmusik, wo man auch hinhört, noch schlimmer: Volksmusik-Proben, in denen Volksmusikpassagen immer und immer wieder wiederholt werden. Es ist eigentlich nicht zum Aushalten.
In einem anderen tatort "Streng geheimer Auftrag" präsentiert sich die eigentliche Mordgeschichte wie ein einziges Zitat amerikanischer Actionstreifen: Explosionen, Autorennen auf Bahnschienen und der Aufmarsch einer bewaffneten Armee machen, daß sich die Kommissare fühlen, "als befänden wir uns in einem Film", so der O-Ton.

Die ersten tatort-Sendungen der 70er Jahre nehmen das Krimigenre ernst und auch heute noch gibt es so manchen tatort, der das Gewicht auf die Geschichte legt. Die Tendenz zur Eigendynamik des Nebensächlichen aber hat sich in den letzten Jahren so weit gesteigert, daß man heute fast schon auf einen tatort ohne das versprochene Verbrechen oder dessen Aufklärung warten dürfte. Es scheint eine Verschiebung vom Ernsten hin zur leisen Parodie und zur Selbstironie stattzufinden.

Nun ist vielleicht noch nicht so klar geworden, was genau wir mit Nebensächlichem eigentlich meinen. Wir meinen damit die Attribute der Krimireihe: Beispielsweise das Verhältnis der Kommissare untereinander – in den 30 Jahren ist man vom Einzelgänger zum Ermittlungspaar gekommen, seit längerem gibt es auch schon einen heimlichen Dritten im Bunde, der mal mehr, mal weniger in den Vordergrund tritt, je nach dem Grad der Eigendynamik. Wir meinen das Verhältnis der Paare oder Trios zu ihrem Vorgesetzten, zum Leichenobduzierer, zur Leiche, zum Mord, zur Unzeit des Todes, zur Philosophie, zur Musik, zur Liebe, zu Männer, zu Frauen, zu dem, was auch immer die Grundstruktur der Reihe auszufüllen vermag, oder anders gesagt, alles, was nicht zum Handlungsstrang des Verbrechens gehört.

Die Grundstruktur ist eine uralte, sie ist im Prinzip jenen Strukturen vergleichbar, die Vladimir Propp bei der Analyse russischer Märchen herausarbeitete und die Roland Barthes später auch bei James Bond-Filmen ausmachen konnte. Für den tatort ließe sich die Grundstruktur sehr einfach so beschreiben: Es geschieht ein Mord, das Stichwort für die Kommissare oder Komissarinnen. Sie ziehen aus, den Mörder oder die Mörderin zu finden, werden anfangs auf falsche Spuren gelenkt, sie begegnen Lügnern und ehrlichen Menschen und schließlich haben sie den Fall gelöst.
Mittlerweile aber haben sich bestimmte Attribute mit dieser Struktur so verbandelt, daß man meinen könnte, sie seien Bestandteil der Struktur. Es sind dies die Attribute, die zum Alltag der Ermittlung gehören.

Zu diesem Alltag zählt beispielsweise der väterliche Bürokrat im Hintergrund, der vom Leben mit dem Tod nicht den blassesten Schimmer hat. Er glaubt, man könne selbigem mit Regeln beikommen, die die Kommissare und Kommissarinnen aber zu seinem Ärger chronisch verletzen. Der bürokratieverblendete Abstand wird zum Kennzeichen der wahlweise stocksteifen oder devoten Obrigkeit. Ausnahmen machen die Regel noch kenntlicher, etwa wenn der Vorgesetzte mit von der unkonventionellen Ermittlungspartie ist und damit zur schrägen und schillernden Kontrastfigur des im Vordergrund stehenden Kommissarpaares wird.
Zum Alltag gehört auch das erotische Britzeln zwischen den jeweiligen Paar-Partnern, das dem Grundsatz zu folgen scheint: gemeinsam scheitert, kämpft und siegt es sich unterhaltsamer als alleine. Außerdem läßt es sich paarweise besser aus der Reihe tanzen als solo: Das Ermittlungsduo zieht immer seinen eigenen Striemel durch, in weiter Ferne von Gesetzen und Vorschriften, denn es hat die Macht, sich zu verschwören. So schafft es das Duo fast immer, den Vorgesetzten zu überrumpeln oder den schrulligen Kollegen liebevoll aufs Korn zu nehmen, um am Ende doch noch den Mörder erfolgreich präsentieren zu können. Und oft ist dies einer, den die Macht nicht gerne als Verbrecher sieht.
Schließlich gehört als wesentlicher Bestandteil zum Alltag auch der Mord. Betroffenheit ist nicht am Platz, wenn man nicht auch ein Spiel mit ihr treiben kann, die Leiche am Boden verdirbt nicht die ohnehin schon schlechte Laune und das Blut am Hemd läßt die Kommissare an ihren obligaten Kaffe denken. So kann man sich noch immer nicht an den Anblick gewöhnt haben und dennoch zur Tagesordnung übergehen. Tod bleibt Tod und Leben Leben. Und wie sich’s mit den Vorgesetzten und Gesetzen, den Mördern und Toten lebt, das ist die eigentliche Hauptsache der deutschen Krimireihe "tatort".
Vielleicht sollte man noch bemerken, daß eben dieses "Wie sich`s damit lebt" jeweils regional unterschiedlich ist: hanseatische, hessische, bayrische, rheinische, auch österreichische Variationen zeigen regionale Eigenheiten. Die norddeutsche Variante – Stoever und Brockmöller alias Manfred Krug und Charles Brauer – zeigt das Ermittlungspaar oft beim Currywurststand und beim Musizieren, alles geht langsam, breit und eher mundfaul zu, in Ludwigshafen – Kommissarin Odenthal alias Ulrike Volkerts – ist Betroffenheit noch längst nicht aus der Mode, im Saarland – Palü – ist man frankophil, in Bayern – ja, in Bayern hat man immer wieder große Lust, den Katholiken und Vaterlandsliebenden eine kräftige Watschn zu verpassen. Die Bayern sind unserer Meinung nach auch am agilsten, wenn es darum geht, die Verschiebung vom Ernsten zur Parodie und Selbstironie hin ordentlich voranzutreiben, das Paar heißt hier Batic und Leitmayr alias Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl. Die Kommissare haben einen Dritten im Bunde: Carlo.

Die Verschiebung zur Parodie hin scheint mit der Verästelung der Attribute in die Grundstruktur einherzugehen. Die Attribute durchwuchern die Struktur. Diese Durchwucherung wird zu einer eigenen Struktur. Es ist deshalb keineswegs abwegig, auf einen tatort ohne Verbrechen zu warten, was eine schöne Perspektive wäre, denkt man sie einmal im Hinblick auf die gesellschaftlichen Auswirkungen weiter.

Die roten Handschuhe – Verkleidete Eingriffe in den "tatort"

Die Durchwucherung von Nebensächlichem und den mit ihnen verbundenen Details läßt die Mordgeschichte, die Haupthandlung in den Hintergrund treten. Ein sehr schönes Beispiel dafür ist der tatort "Gefallene Engel", Regie führte Thomas Freundner, das Drehbuch schrieb Peter Probst, Kamera Jo Heim, Redaktion, Sylvia Koller.
In augenfälliger Weise wuchert in diesem tatort ein Detail, das in das Zentrum der Reihe wie des Falls verkleidetermaßen einzugreifen scheint: es handelt sich um das Detail der Hände, der Handschuhe, schließlich der roten und der mit ihnen korrespondierenden weißen Handschuhe.

Wie in jedem tatort markiert auch hier der Fund der Leiche den Beginn der Handlung. Und dieser Beginn der Handlung geht mit Handschuhen vonstatten. Die Komissare betreten mit einem Kanalarbeiter die Münchener Kanalisation. Es sind die Hände des Kanalarbeiters, die ins Bild kommen. Als er die Leiter in den stinkenden Untergrund hinabsteigt erzählt er, daß sein Kollege und er zunächst gedacht haben, bei der Leiche handele es sich um einen angeschwemmten Baumstamm. Als sie ihn aber wegziehen wollten, habe sich plötzlich ein Mund geöffnet. Erst da haben sie bemerkt, daß es sich um einen Menschenkörper und nicht um einen Baumstamm handele.
Unten angekommen setzen die Kommissare Atemmasken auf und schreiten dann das gleichermaßen an eine Kathedrale wie an einen Baumstammwald erinnernde Bauwerk der Münchener Kanalisation ab zum Fundort der Leiche, was auch thematisiert wird. Da sich Kanalarbeiter und Kommissare nur verständigen können, wenn sie die Atemmasken abnehmen, halten es Batic und Leitmayr da unten wegen des Gestanks nicht lange aus und verschwinden mit faulen Ausreden wieder nach oben.Vorher jedoch werfen sie einen Blick auf die Leiche, die perspektivisch auch wir, die Zuschauer sein könnten, sie blicken schräg nach unten. Nachdem die Kommissare den stinkenden Fundort verlassen haben, kommt das Objekt des Ekels ins Bild. Ein schon von Würmern angefressener, immer noch blutiger aber schon angebraunter Schädel einer Leiche.


Tat und Ort

Die roten Handschuhe – da hängen sie, paarweise und wunderschön anzusehen. Am Tatort braucht man sie zum Verkleiden der Hände, zum Schutz vor Ansteckung, zur Vermeidung von Spuren.
Das wiederkehrende TV-Spiel der Verfolgungen und Verkleidungen stellt die Frage nach Tat und Ort. Die roten Handschuhe legen dafür Spuren.
Die Frage nach dem Täter stellt sich im Spiel der roten Handschuhe scheinbar wie von selbst. Zudem an einem Ort, der Tote birgt: sie hängen an einem Fleischerhaken, in der Pathologie des Tatorts.
Das Fingerspiel beginnt: Handbewegungen.

Der Handlungsstrang der verfaulten Leiche führt in den Saal der Toten. Denn es gilt Todesdatum, Todesursache und Identität der Leiche festzustellen, um mit den Ermittlungen weiterzukommen. Der Pathologe Krämer empfängt die Kommissare, erklärt ihnen die Kaspersche Regel über die Veränderungen von Leichen, sie lautet: eine Woche Luft gleich zwei Wochen Wasser, gleich 8 Wochen Erdgrab. In diesem Fall nützt sie aber nichts wegen der zu Hauf vorhandenen Fäulnisbakterien in der Kanalisation. Während Krämer dies erklärt, zieht er Armschützer, Kittel und schließlich die roten Handschuhe über. Auch die Kommissare ziehen Handschuhe über: weiße.
Nebenbei erfahren Batic und Leitmayr, daß das Genick der Leiche gebrochen sei, was aber wahrscheinlich nicht die Todesursache sei. Wie denn das geschehen sein könnte? Beim Transport. "Durch uns?", fragt einer der Kommissare, "nein", ist die beruhigende Antwort: "durch den Täter." Erwähnt werden nicht die Kanalarbeiter, die die Leiche zunächst mit einem Baumstamm verwechselten.


Bevor wir zur nächsten Szene übergehen, ein Blick nochmal auf die Handschuhe. Wortlos kommen sie ins Bild, bleiben unkommentiert. Die mit ihnen verbundenen Handlungen konturieren die Rolle der Kommissare einerseits und des Pathologen andererseits. Hier die Unschuld, die weißen Handschuhe, dort die Schuld, der Pathologe. Er verrichtet ein tabuisiertes, ekelerregendes Geschäft, das ihn selbst – gegen seinen Willen – tabuisiert und zum Objekt des Ekels macht. Dies wird an einer anderen Stelle noch deutlicher.
Was aber haben die Handschuhe hier zu suchen, die roten und die weißen? Für den Täter sind sie das sicherste Mittel, Spuren zu verwischen. Die Spurensucher dürfen ihre Spuren nicht mit denen des Täters vermischen. Die Beschäftigung mit Mord und mit Leichen wird hier zu einer eigenen in Frage stehenden Tat, deren moralische Beschaffenheit zumindest zweifelhaft erscheint: Im Dialog zwischen Batic, Leitmayr und Krämer gerät diese Frage sogar an die Oberfläche.

Jetzt werden die Sachen des Toten auf mögliche Spuren hin untersucht. Die Kollegin des Patholgen zeigt – mit roten Handschuhe – den Kommissaren eine Briefmarke, die ein Bild der heiligen Agnes trägt. Mit Handschuh und Pinzette betrachtet der Kommissar das Bildchen.


Die Kommissre kommen nicht weiter, doch Gott sei Dank gibt es einen zweiten Toten.
Batic und Leitmayr werden zum Fundort der Leiche gerufen, die auf einem Müllberg gesichtet wurde. Wieder ein Ort des Drecks und des Gestanks, wie zu Anfang die Kanalisation. Zwei orange gekleidete Müllmänner, ebenfalls mit Handschuhen versehen, flankieren das Kommissar-Paar Batic und Leitmayr. Während die vier noch einen gewissen Abstand zur Leiche wahren und über die nötigen Dinge reden, zieht Batic einen weißen Handschuh über, in die Mitte des Blicks gehalten.

Jetzt nähert sich Batic der Leiche, und fördert zwei Indizien zu Tage: Eine Visitenkarte und eine seltsam gelöcherte Karte. Im Hintergrund ist das Gesicht der Leiche zu sehen. Was nun geschieht, sucht in der Krimireihe tatort vergeblich seinesgleichen: Die bloße Hand des Toten bewegt sich, Batic springt kreischend auf, dann öffnet der Tote auch noch seine Augen. Batic ruft verzweifelt nach einem Krankenwagen, der Blick der Kamera folgt dem Ruf Batics´ und sieht weit und breit – nur Müll.


Das Erwachen der Leiche auf der Müllhalde scheint den Zweck zu haben, weitere "weiße- und rote-Handschuh-Szenen" nach sich zu ziehen, die es ohne sie nicht geben könnte. So eben die Szene der Rettungssanitäter, die – mit weißen Handschuhen – versuchen, das Leben des eben Erwachten zu bewahren.


Es ist keine abwegige Überlegung, zu meinen, die Szene des noch lebenden Toten auf der Müllhalde hätte nur deshalb Eingang in diesen tatort gefunden, um die mit den weißen und roten Handschuhen verbundenen Handlungen fortzusetzen. Denn der Tote ist zwar ein Opfer des Serienmörders, um den es in diesem Tatort auch geht, jedoch führt die Spur, die er legt, ganz woanders hin, in die falsche Richtung, die später vollkommen in Vergessenheit gerät. Sie führt zu Gott, so jedenfalls nannten den dritten Toten seine Kollegen. Der dritte Tote ist ein Journalist, ein Schnüffler allererster Güte, nicht zu schlagen und deshalb ein Gott, aber eben ein toter Gott, doch dazu später.


Bevor Gott ins Spiel kommt, darf zunächst der Pathologe sein Leid über sein Schicksal klagen. Seiner Kollegin, mit der er gemeinsam den Wagen mit der Leiche hinausschiebt, erzählt er vom Treffen mit einer Frau, für das er eigenhändig Mandelplätzchen gebacken habe. Das Bild zu "Mandelplätzchen": Im Vordergrund die Füße der Leiche samt dem am großen Zeh hängenden Identitäszettel, in der Mitte des Dreiecks, das die zur Seite neigenden nackten Füße bilden, der Oberkörper des Obduzieres, wie er eine Geste mit seinen roten Handschuhen macht, die heißen könnte: so klein waren die Mandelplätzchen.


Die Folgeszene: Die Pathologin spricht ins Diktiergerät, der Pathologe nimmt ihr das Gerät ab, übersetzt das Pathologendeutsch in Kommissarendeutsch. – Währenddessen geraten die an den Fleischerhaken hängenden roten Handschuhe in den Hintergrund des Bildes.

Jetzt kommt Gott ins Spiel. Gefunden wird er an einem denkbar unwürdigen Ort: in einem Männerpissoir. Wieder ein Ort des Gestanks, der Dreck ist sinnenbetäubend. Auf dem Weg zum Fundort ziehen sich die Kommissare ihre nun schon etablierten weißen Handschuhe über. In der Luft hängend erinnern sie an Preservative, die Ansteckung verhüten, aber auch Kinderkriegen.

Die Kommissare bitten die Spurensicherung, den Toten in eine würdigere Lage zu bringen, sein Kopf hängt direkt im Pissoir. Die würdigere Lage läßt einen Arm sehen, auf dessen Tätowierungen weiß behandschuhte Finger deuten, der wiederum den Weg zum rot behandschuhten Zeigefinger der Pathologie ebnen.
Hier nun haben die roten Handschuhe ihren schönsten und augenfälligsten Auftritt. Extra für uns, so scheint es, zieht sich der Pathologe die roten Handschuhe ab und schleudert sie dem Kommissar dabei beinahe ins Gesicht.

Aber haben wir nicht etwas übersehen? Nochmal zurück zum Männerpissoir. Sehr schnell gerät ein wichtiges Detail in den Blick und verschwindet ebenso schnell.

Der Fotograf trägt weiße Handschuhe! Der Fotograf, der den Tatort einfängt und mit seinen weißen Handschuhe selbst zum Täter wird.

So bemüht, keine Spuren zu hinterlassen, legen doch gerade die Spurensicherer deutlichste Spuren, die auf sie selbst verweisen.

In 20. Fall von Batic und Leitmayr hat sich die Perspektive des tatorts verschoben: vom Tatort der Morde zum Tatort der Spurensuche. Das Aufsuchen der Leichen führt zu stinkenden, dreckigen Orten: die Kanalisation, der Müllberg, das Pissoir. Die Zeichnung der Leichen: der verweste Kopf, die sich bewegende Hand eines noch Lebenden, der tätowierte Arm der dritten Leiche. Das Kramen in Leichen. Und das in völliger Verkleidung stattfindendende Sprechen über Mandelplätzchen im Angesicht toter Nacktheit. Schließlich die fotografische Aufnahme des Schauplatz des Todes – in Handschuhen. Hier werden sich offenbar nicht die Finger schmutzig gemacht. Die Verhütung der Ansteckung, der Berührung mit dem Tod…
Völlig irrelevant für die Handlung werden die Handschuhe auffällig in Szene gesetzt. Anders gesagt: Die Handlung tritt zugunsten ihres Symbols – eben der Handschuhe – in den Hintergrund. Was hier geschieht ist, die Frage nach der Handlung der Kommissare, des Pathologen und der namenlosen Spurensucher, nach ihrer Verkleidung, kurz nach der Beschäftigung mit Mord auf Seiten der Ermittler, zu denen auch wir, die Zuschauer gehören, zu stellen.