Claudia Reiche

 

Tödliche Muster mit Aussetzern

Mutationen des Wissens und der Geschlechter in Jon Amiels 'Copycat'

 

 

Der Film 'Copycat' (US 1995) entwirft einen erstaunlichen Typus serieller Morde, indem ein Täter berühmte historische Fälle anhand von Tatortphotos nachinszeniert. Den englischen Originaltitel: 'copycat' übersetzt das Lexikon als [Am sl Nachahmerin f]. Wiederholung und Weiblichkeit verschränken sich: der Killer wird sprachlich verweiblicht. Wie wäre nun eine solch perfide neue Positionierung eines Serienkillers zu beantworten, der weibliche Leichen als Nachahmung und Zitat produziert? Sein 'Produktionsmodus' wäre immerhin einer, der weibliche Rollenstereotypen ausspielt: Wie eine 'Frau' - ohne Originalität, ohne Autorschaft. Die Herausforderung den Kampf mit einem derartigen 'Copycat-Killer' aufzunehmen, stellt sich unweigerlich zwei emanzipierten Frauen. Die eine wissenschaftliche Koryphäe zur Psyche von Serienkillern, die andere eine Kriminalbeamtin. Wie der Täter letztlich überwunden wird, verdient insbesondere hinsichtlich geschlechtlicher Inszenierung genaue Betrachtung.

 

Schaulust

Walter Serner schrieb 1913 in der 'Schaubühne' unter dem Titel "Kino und Schaulust":

"...das alles vermag aber gleichwohl nicht, den beispiellosen Siegeszug zu erklären, der dem Kino allenthalben beschieden war. Tiefer als geahnt muß liegen, was da am Werk ist. Und schaut man dahin, von wo dem Kino der letzte Groschen zufliegt, in diese seltsam flackernden Augen, die weit in die Geschichte der Menschheit zurückweisen, so steht sie mit einemmal riesengroß da: Schaulust ... Nicht die harmlose, der nur Bewegung oder nur Farbe oder beides alles ist, sondern die, welche eine furchtbare Lust ist und nicht weniger gewaltig als die tiefste; die im Blut fiebert und es brausen macht, bis jene unergründbar machtvolle Erregung durch das Fleisch rast, die aller Lust gemeinsam ist."[1]

Die furchtbare Lust, die da unterstellt wird, ist die nach dem "Blut", das die Kinozuschauer so begierig zu sehen wünschten wie einst das Publikum im römischen Zirkus, oder heute die Konsumenten von TV Programmen und Computerspielen. Doch, und das ist die Finte des klugen Essays von Walter Serner, durch filmische Montage - Tempo, Rhythmus, visuelles Drama - kann diese Lust auf das 'Blut' ersetzt, wenn nicht noch tiefer gereizt und befriedigt werden, bis das eigene 'Blut fiebert' und 'braust'. Die Oppositionen von Tiefe und Oberfläche, von Wirklichkeit und Schein werden von Serner in theoretischer Anerkennung des neuen Mediums Film subvertiert[2]. Dies sei das Motto für die folgende Lese- und Sichtweise des Films 'Copycat' gewählt, der sich 82 Jahre nach den Worten Serners inzwischen mit einer neuen medialen Herausforderung auseinandersetzt, wie  ebenfalls  dieser Text: dem 'digitalen Medium'.[3] Gegenwärtig am Übergang ins 21. Jahrhundert macht das Thema Serienmord einmal mehr Karriere. Eine Unzahl von einflußreichen Filmen - von "Natural Born Killers" über spektakuläre Wiederaufführungen des "Texas Chain Saw Massacre", "Henry", "Silence of the Lambs" bis zu "Seven" greift hinsichtlich Gewaltdarstellung und Raffinement der Tabuüberschreitung zu immer neuen, extremeren Darstellungen. Im Zeitalter der Computer und Videospiele, deren Grundprinzip meist in dem reaktionsschnellen serienweisen Erschießen virtueller Pixel-Gestalten besteht, wäre dies womöglich eine späte Blüte der kulturell inzwischen hochausgearbeiteten Kino-Sinnlichkeiten: Schönheit und Überlegenheit der kinematographischen Wirklichkeitsform in der Zeit ihres medialen Niedergangs zu behaupten. Neben einem tatsächlichen erheblichen Ansteigen serieller Morde, insbesondere in den USA[4], ergießen sich Ströme von Blut auf den Leinwänden, realistischer, manieristischer, ironischer oder auch symbolischer denn je - eine hohe Oper des Leinwandspektakels in Vertretung für ein anderes: die Wünsche der Zuschauer.

 

Erstaunlich ist bei Hinsicht auf das Genre nun doch die Bezeichnung Serienkiller. Viele Verbrechen zeichnen sich durch Wiederholung aus, diese wird aber nicht besonders betont. So sind Autodiebe, Einbrecher oder Kreditkartenfälscher in der Regel Wiederholungstäter, die ihre Verbrechen wie einen Beruf, also in gewohnter Wiederholung, ausüben. Ebenso beim Berufskiller, der für organisierte Verbrecher arbeitet, wird höchstens die rationale Seite der Wiederholung in den Vordergrund gestellt, aber nicht die Tatsache der formal ähnlichen Wiederholung der Morde. Anders beim Serienkiller. Die Figur scheint sich vielfältig als Projektionsfläche zu eignen: zum Beispiel für Wiederholung als dämonisch wiederkehrendem, irrationalen Zwang zu töten? Für Wiederholung als formal genaue, rational bestimmte serielle 'Produktion' von Leichen? Für Wiederholung im ungehemmten männlichen, sadistischen Genuß desTötungsakts? Für Wiederholung als impotente Ersatzhandlung?

 

Nicht zu übersehen und nicht zufällig ist die geradezu mythische Verehrung, die insbesondere von Fanclubs den einzelnen Serienkillern entgegengebracht wird.[5] Erstaunlich unzensiert, ja geradezu 'fashionable' können öffentliche Sympathieerklärungen für Serienkiller Zensur und Sanktionen passieren. Ein Kolumnist des San Francisco Chronicle, Charles Mc Cabe, feierte 'Jack the Ripper' als "den großen Helden meiner Jugend, diesen erfahrenen Schlachter, der sich immer an alkoholkranken Huren ausgelassen hat."[6] Die solide Basis allgemeiner Frauenverachtung, die diese Zeilen überhaupt durchgehen läßt, ist unzweideutig. Doch mehrdeutig interpretierbar wird wiederum die aktuelle Haltung des Verfassers dieser Zeilen - eitel, haßerfüllt, kalkuliert provokant oder selbstkritisch, gar ironisch?

 

Aufschlußreich ist im Kontrast zu derartigen Stereotypen der Ästhetisierung der Versuch, auf wissenschaftlicher Basis aufklärend und entmythisierend zu wirken. Wohl um dem schillernden, erotisch hochbesetzten Faszinosum des 'Serienkillers' entgegenzuwirken, formulieren Standardwerke der investigativen Psychologie [7] insbesondere, was spezifisch in der Psychologie eines Serienmörders im Gegensatz zum 'Normalen', auch dem 'normalen' sexuellen Verhältnis gelten soll: die Unfähigkeit, "andere Menschen als gleichberechtigt wahrzunehmen." "...behandeln sie wie Objekte, über die sie verfügen, die sie ausnutzen und derer sie sich entledigen können. Die Verstümmelung, die auf die Ermordung folgt, ist (...) ein anschauliches Beispiel dafür, wie die Opfer entmenschlicht werden."[8]

 

Daß hier Aufklärung um den Preis mangelnder Selbsterkenntnis betrieben wird, liegt offen zutage. Denn klingen diese Formulierungen nicht wie die rationale Beschreibung alltäglicher, hochangesehener, nämlich machtfunktionaler, ökonomischer, auch wissenschaftlicher Verhaltensweisen? Auch direkt, in Verknüpfung mit einer sexuellen Komponente ist ein derartiges Muster - z.B. strukturell in der Prostitution - als heterosexuelle Verkehrsform der Geschlechter kulturell geregelt und manifestiert. Geradezu als Binsenweisheit und nicht erst seit Freud gilt, daß eine sexuelle Beziehung nicht auf den 'ganzen Menschen' als Subjekt gerichtet ist, stattdessen objektivierend verfährt, auf ein begehrtes Objekt zielt. Ein sexuell entmenschlichter 'Mensch' setzte sich dann in neuer Gestalt aus Elementen wie zum Beispiel einem 'Glanz auf der Nase', einer Stimme, einem kurzen Rock, einem Fuß, rauschendem Blut oder einem Blick zusammen. Insofern ist inzwischen in den erstaunlichen Formulierungen Canters die mediale Ähnlichkeit zum Erlebnis im Kino nicht mehr zu überlesen: Auch hier verhält sich kein Zuschauer oder Zuschauerin einem ganzen 'Menschen' gegenüber, sondern bildlichen, (ästhetisch) 'verstümmelten', benutzten Objekten.

Daß die kinematographische Gewaltdarstellung sich gängigerweise auch in direkter sexueller Erregung der Kinozuschauer äußern kann, wird jede und jeder im Verlauf eines einschlägigen Films - falls nicht an sich selbst - so wahrscheinlich an körperlichen Anzeichen der Nachbarn ablesen können.

 

Einiges spricht dafür, die analytische Aufmerksamkeit auf die Durchdringung von medial Repräsentiertem und Wirklichem auf die performative Realisierung durch den Zuschauenden zu richten, statt auf einen immer wieder beschworenen Abbildrealismus. Der abbildrealistische Glaube besteht auf der vorrangigen inhaltlichen Verknüpfung von Repräsentation und Repräsentiertem, so daß bei der Betrachtung eine Verwechslung mit der 'Wirklichkeit' unvermeidlich sei. Als Vehikel solcher Verwechslung wird dazu eine Identifikation des Zuschauers mit dem Protagonisten der Handlung unterstellt: eine 'menschliche' Verwechslung, allerdings auf das Objekt ihrer wissenschaftlichen Aussage projiziert. Daß kinematographische Wahrnehmung sich jedoch viele nicht identifikatorische, sondern formal verschlungene Wege der Befriedigung suchen kann, kommt im Gegensatz zu Walter Serners subtilen Einsichten von 1913 so nicht zur Geltung. Bei den Vertretern der identifikatorischen Rezeption mit Betonung der abbildrealistischen Bildqualität sind auch diejenigen Strömungen beheimatet, die nach wie vor den Grund der steigenden Kriminalitätsstatistiken zum Beispiel in den Filmen über Serienkiller oder den Computerspielen suchen: die Verbrechen werden somit als Nachahmung, Wiederholung, Imitation eines medial Repräsentierten im 'Wirklichen' erklärt. Solche vermeintliche Anerkennung der prägenden Macht technischer Medien, betreibt doch unter der Hand die Heilung eines längst sezierten 'Menschen'-bildes, werden auf diese Weise doch technische Medien als zwar täuschende, jedoch kategorial weiterhin sekundäre Abbildungen eines primären, vermeintlich 'heilen' Wirklichen behauptet.

 

Lustmord

Der Film 'Copycat', 1995 von Jon Amiel gedreht,[9] handelt zwar, wie es die Rezensionen beschreiben, einmal mehr von einer erfolgreichen Verbrecherjagd: eine Wiederholung innerhalb eines Filmgenres. "Psychiatrist who's an expert on serial killers and now traumatized into an agoraphobic existence joins forces with dedicated cops (...) to track down the latest (and smartest) murderer in San Francisco. Slickly made, tense and entertaining..."[10] Allerdings, und das ist bereits ungewöhnlich, entwickelt der Film mit zwei weiblichen Protagonistinnen, einer Wissenschaftlerin und einem Inspector der San Francisco Mordkommision, den Kampf der zwei gegensätzlichen Frauen gegen den Serienkiller. Dessen Methode ist so effektiv wie ungewöhnlich. Er führt in die klassischen Formen der Wiederholung, die ein Täterprofil im Sinne kriminalistischer Wissenschaft ausmachen, einen zusätzliche Drehung ein: dieser Täter geht dazu über klassische Fälle nachzuinszenieren, ausgerichtet an den Dokumentationen in der Literatur über Serienmörder.

 

Das Drehbuch stellt es so dar, daß der bald so genannte 'Copycat-Killer' den berühmtesten Fällen größtenteils perfektionistisch bis in die kleinsten, grausamen Details folgt, als handele es sich um Rezepte zur Zubereitung weiblicher Leichen. Der Seidenstrumpf wird dem erdrosselten Opfer in der Badewanne um den Hals drapiert, wie es das Photo eines Opfers Albert de Salvos ("The Boston Strangler") im Film zeigt. Die nackte weibliche Leiche soll zudem in die gleiche Position gebracht sein wie ihr 'Original' ca. 35 Jahre zuvor.[11] Dem nächsten Opfer wird eine Reinigungschemikalie nach dem Vorbild von Kenneth Bianchi und Angelo Buono ("The Hillside Stranglers") in die Venen injiziert, und die Leiche an markanter Stelle auf einem Hügel nackt plaziert, wo sie am nächsten Morgen schnell gefunden werden kann.[12] Der gleiche Song "I think I love you" spielt im Auto mit der erschossenen Fahrerin, wie es einst nach einem Mord David Berkowitz ("Son of Sam") gewesen sein soll. Die Relation zu den authentischen Vorgehensweisen der Täter respektiert insoweit die Fakten der polizeilichen Ermittlungen, als einige typische Merkmale in der Vorgehensweise der echten namentlich genannten Serienmörder korrekt und wiedererkennbar zitiert werden.

 

Bemerkenswert ist nun, daß es sich bei den im Film zu sehen gegebenen Photographien, die die Original-Tatorte oder Portraits der historischen Serienkiller darstellen, teilweise um Bildmaterial handelt, das tatsächlich in kriminalwissenschaftlicher Literatur oder in Fan-Veröffentlichungen über die Killer mit den mythischen Namen abgebildet sind. [13] Insofern die populäre Verehrung der Serienmörder diesen eigene, neue Namen gegeben hat, erscheinen deren Taten bereits wie auf der Bühne einer Inszenierung, als ginge es um artistische Darbietungen, die männliche, geheimnisvoll unbekannte Mord-Artisten an den meist weiblichen Opfern wie an und mit ihrem künstlerischen Material ausführten. Die Verbrechen werden so zu kultureller Produktion umformuliert, als performative Akte der Täter akzeptiert, nicht dem Sterben der weiblichen Opfer zugeordnet. Hier gehen Spielfilmtradition und massenmediale Darstellung von Serienkills überein - insofern verhält sich 'Copycat' mit den verwendeten Original-Photographien und der unverstellten Bezugnahme auf historische Serienkiller nicht nur in materiallogischer Hinsicht 'dokumentarisch', sondern 'dokumentiert' auch den eigenen Mechanismus der Bedeutungsproduktion direkt.

 

Denn die Verwendung von Originaldokumenten in Spielfilmhandlungen ist hinsichtlich narrativer Logik nicht unkompliziert. Der bekannte Satz im Vor- oder Abspann, daß alle Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen im Film nur rein zufällig sei, kann nicht mehr angewandt werden, Aussagen zu den authentischen Fällen werden somit beansprucht und erlauben die Interpretation des Films als direkte Aussage zu den historischen Ereignissen. Die gängigerweise unterstellte Hierarchie, die eindeutig vom historischen Anlaß zur bezugnehmenden Darstellung in einer 'Verfilmung' gehen würde, gerät in Verwirrung, wenn Original-Dokumente in einer fiktiven, weiterführenden Handlung wiederaufgegriffen werden. Die Originalphotos, die in 'Copycat' Verwendung finden, sind nämlich doppelt, wenn man so will oszillierend, zwischen zwei Bedeutungen schwankend, verortet. Fraglich ist: Sind es Markierungen einer historischen, dokumentarischen Bezugnahme oder Markierungen einer Relation innerhalb der filmischen Narration? Die Position des Regisseurs und des re-inszenierenden Serienkillers sind an dieser Stelle ambivalent.

 

Dazu paßt nicht schlecht die Grundidee des Plots vom historisch 'zitierenden', vielfältig kopierenden Killer. Denn dieser Plot führt eine Ungewißheit - hinter offensichtlicher abbildlogischer Ähnlichkeit - ein, indem der kopierende Serienkiller eine ambivalente Durchquerung von 'Medialem' und 'Wirklichem' ausspielt, das mit dem Begriff 'Simulation' gekennzeichnet werden kann. Wiederholtes und Originales am Tatort werden kategorial gleichrangig, ebenso was authentisch, was Maskerade an den hinterlassenen Spuren am Tatort sei. Ununterscheidbar wird bei diesem Copycat-Killer, was 'Inhalt', was 'Form' seiner Taten wäre. Ob es ihm in erster Linie um den Mord oder um die Nachahmung eines anderen Mordes geht? Denn das Kopieren selbst, die Wiederholung könnte der eigentliche beunruhigende 'Inhalt' seiner Taten sein, deren 'Form' dann eben das Erwürgen noch einer Frau wäre.

 

Im Film ist diese beunruhigende Frage exemplarisch in die Konkretion einer Tatvorbereitung verlegt, anläßlich der Nachahmung eines Falles der "Hillside-Stranglers". Der Originalfall - im Film ebenso wie in der Wirklichkeit - beinhaltet das Auffinden von zwei verschiedenen Sperma-Spuren an der weiblichen Leiche. Indem wir den Copycat-Killer, der in einem medizinischem Labor arbeitet, heimlich eine Sperma-Probe vertauschen sehen, können wir annehmen, daß er sein Sperma und das eines andern Mannes an der Leiche hinterlassen haben wird, an der er so die 'Handschrift' der "Hillside-Stranglers" imitiert. Die Spurensicherung wird tatsächlich zwei individuelle Sperma-Spuren bestätigen. Wären nun die am Tatort sichergestellten Spuren als beglaubigende Zeichen eines sadistischen Lustmords zu deuten oder als ein Element zur originalgetreuen Inszenierung, entsprechend den Dokumentationen des kopierten - und so in die Simulation versetzten - Falles?

 

Nicht einmal mehr auf den unterstellten 'dämonischen' Zwang zur wiederholten Tötung kann sich die Deutung hier verlassen, geschweige denn - wie generell bei Serienkillern - auf eine 'normale', eindeutig sexuelle Befriedigung des Mannes am Tatort.[14] Sondern denkbar wird beim Copycat-Killer eine rationale Entscheidung zur Wiederholung genauso wie ein zwanghaftes Ausgeliefertsein. Ist es eine Wiederholung wie sie vernünftiger und zugleich vernunftloser kaum sein könnte? Die ungeheure Provokation, die in dem Konzept der imitierten Lustmorde liegt, besteht in der Einladung und Verführung, den neuartigen 'Killer' verstehen zu wollen: einmal mehr als 'Mensch', um ihn - gedeutet - überführen zu können. Solche Einladung ergeht nicht nur an die Spezialistin für Serienmord Dr. Helen Hudson und die Kriminalistin M. J. Monahan, sondern selbstverständlich in erster Linie an die Zuschauer im Kino. Dies geschieht umso mehr, als der Täter sich ja ein untypisches 'künstliches' Verfahren zu eigen gemacht hat, das Faktizität und Geschichtsschreibung der historischen Serienmorde umgreift und diese in einer neuen Serie aktualisiert. Wird der Täter anläßlich derart deplazierter, verrückter Kulturleistung nun 'menschlicher' oder 'unmenschlicher', 'maschineller'?

 

Daß diese Fragen mit der problematischen Repräsentation eines 'Weiblichen' verknüpft sind, darauf weist die Benennung 'Copycat' hin. 'Copycat' heißt in amerikanischer Umgangssprache soviel wie 'Nachahmerin' - in abfälliger Weise. Die Sekundarität des 'zweiten' Geschlechts wird so einmal mehr beschworen, indem 'Cat' im Slang eben auch als genitales Pars pro toto für die ganze Frau stehen kann. Die Operationen des Copycat-Killers sind insofern als 'weiblich' - auch in bezug auf die Geschlechtsdifferenz in einer Simulation- zu lesen gegeben. Anders gesagt, der Film handelte insofern von der Frage nach 'Weiblichkeit', der Begegnung des Killers und der weiblichen Gegenspieler:  Begegnungen auf Leben und Tod, die zugleich Operationen in den Systemen geschlechtlicher und medialer Repräsentation sind.

 

Zyklus

Die Erwähnung eines bestimmten authentischen Serienmord-Falles im Film betrifft die drohende Möglichkeit des Versagens der Polizei, verbunden mit dem Risiko sich mit zu 'verrückten' Deutungen lächerlich zu machen, insbesondere als Frau. Das Auftauchen des sogenannten "Zodiac"-Falles stellt eine Markierung für eine Schwachstelle in der 'normalen' Polizeiarbeit dar. Das erste Mal wird der Fall angespielt, als die Psychiaterin Dr. Helen Hudson als anonyme Anruferin im Police-Department mit ihrer späteren Verbündeten Monahan spricht. Mehrere ungeklärte Morde stellt Hudson als Muster eines 28-Tage-Rhythmus dar. Allerdings wiedergegeben als 'Monatszyklus' statt 'Mondzyklus' wird ihr Deutungsansatz von den zuhörenden Beamten als Menstruationsmystik verlacht, ebenso von Monahan in ironischem Ton quittiert und als 'irre' bezeichnet. Doch wird hier zum ersten Mal direkt eine 'körperliche' und 'künstliche' Verbindung zwischen Weiblichkeit und Mathematik angedeutet, die der Film weiter durchspielen wird.

 

Das zweite Mal wird der "Zodiac"-Fall direkt angesprochen und in Relation zum Telefongespräch als Argument gegen die solide Ermittlungsarbeit 'nach gesundem Menschenverstand' ins Feld geführt, da Monahan sich unterdessen über die 'irre' Anruferin und ihre wissenschaftliche Arbeit zur Psyche von Serienkillern informiert hat. Der Leiter des Police-Departments wird in einem pointierten Schlagabtausch mit seiner Untergebenen, der ermittelnden Monahan, daran erinnert, daß seine Bearbeitung des "Zodiac"-Falls nicht erfolgreich beendet wurde, wie er ihr autoritär suggerieren wollte. Indem er ihre Zusammenarbeit mit der Psychiaterin Helen Hudson verbietet, da diese psychisch labil, unzuverlässig, alkohol- und tablettenabhängig, kurzum: verrückt sei, versucht er traditionelle Polizeiarbeit und sich zum Vorbild zu setzen. [15]

Tatsächlich handelt es sich beim sogenannten 'Zodiac Killer' um einen authentischen Serientäter, der auch realiter nie gefaßt wurde. Als Grund für das polizeiliche Scheitern wird typischerweise gerade die schwer deutbare und doch methodische, mathematische Vorgehensweise des Killers angeführt, der Dutzende von Briefen, verschlüsselten Codes und Diagrammen an örtliche Zeitungen geschickt hatte, mit detaillierten Ankündigungen und Erläuterungen der Morde. Es ist inzwischen von Gareth Penn in seinem Buch 'Times 17'[16] versucht worden, die Botschaften des 'Zodiac-Killers' als kryptographisch schlüssig zu erweisen. Der Code der Botschaften wird wesentlich als Verrechnung einer binären Mathematik mit dem Morse-Alphabets bestimmt. Die entzifferten Botschaften selbst könnten dadurch in einem weiteren Schritt als verrückte und angewandte Medientheorie lesbar werden. Zu vermuten ist, daß in die Entwicklung der Copycat-Killer Figur derartige Reflexionen über den Zodiac-Fall eingeflossen sind. Als weiteres, noch stärkeres Indiz kann gelten, daß die alten Zodiac Fälle zur Entstehungszeit des Films tatsächlich von einen Copycat –Killer in New York zum Vorbild genommen wurden, der in Bekennerschreiben mit 'Zodiac' unterschrieb. [17]  Das stärkste Motiv bei der Rezeption der 'Zodiac-Serie' siedelt sich allerdings personenbezogen im Muster 'Genie und Wahnsinn' an, interpretiert die Taten 'künstlerisch', als gigantisches multimediales Kunstwerk. Hier bestehen deutliche Ähnlichkeiten zu den Inszenierungen der 'Rezeption' des Copycat-Killers im Film.

 

Lecture

Die Eingangssequenz des Films kann in mehrfacher Hinsicht als das initiale Muster gelten, das filmisch, als auch für die zukünftigen Taten des Copycat-Killers den weiteren Ablauf bestimmt. Die Lösung des Rätsels - strukturell und handlungsbezogen - wird in dieser Sequenz bereits 'gezeigt'. Sowohl der spätere Copycat-Killer wird hier bereits zu sehen gegeben, als auch die Serie hergestellt, die sein Vorgehen strukturieren wird. Es werden Blickweisen inszeniert, die die Geschlechtsdifferenz problematisieren, deren Asymmetrie und ein Außerhalb des Sichtbaren markieren.

 

Das Eingangsbild ist in extremer Aufsicht, mit 'schwebender Kamera' über liegenden Studenten, meist weiblich, auf dem Rasen eines universitären Campus gewählt. Wie zufällig ist ein leiser Schrei zu hören. Der Schatten einer zielstrebig gehenden männlichen Silhouette, gleitet, bildlich verdeckend, berührend über die Liegenden hinweg. In der nächsten Einstellung wird die Umgebung als leicht ansteigender Hügel mit Rasenfläche erkennbar, auf dessen Gipfel sich ein Auditorium Maximum in Beton- und Glasarchitektur der 60er Jahre befindet. Zu hören ist ab jetzt der Schluß einer Vorlesung, die die Koryphäe auf dem Gebiet des Serienkiller-Profilings, Dr. Helen Hudson vor dichtgedrängter Zuhörerschaft hält. Eine riesige Videoprojektion wiederholt ihre visuelle Erscheinung im Hörsaal. Eine Großaufnahme ihrer schmalen, doch leuchtend rot geschminkten Lippen leitet von außen in den Saal über.

 

"Die Schreie des Opfers mindern seine Qual. Der Akt des Tötens verschafft ihm ein intensives Lebensgefühl. Und danach empfindet er keine Schuld, sondern Enttäuschung. Es war nicht so wundervoll, wie er erhofft hatte. Nächstes Mal ist es dann vielleicht perfekt. Und wenn sein Drang, wieder jemanden zu töten, wieder stärker wird, dann plant er in zwanghafter Detailgenauigkeit, welche Requisiten er braucht, wie er die Fesseln anlegt. Eine Frage hätte ich an Euch Männer. Was erregt euch, ich meine was turnt euch richtig an? Ist es ein toller Körper, ein nettes Lächeln, schöne Beine? Einen Serienmörder erregt die Qual des Todeskampfes eines anderen Menschen. Ich möchte Sie jetzt um einen Gefallen bitten. Wenn jetzt bitte alle Männer im Saal aufstehen würden. Seien Sie so freundlich. Nachdem Sie uns die ganze Zeit angestarrt haben, finde ich das nur fair. So, wenn sich jetzt alle unter 20 und über 35 wieder hinsetzen würden. Und wenn Sie afroamerikanischer oder asiatischer Abstammung sind, setzen Sie sich auch."

Während dieser Worte haben wir den routinierten Auftritt eines Vortrags-Stars im eleganten knallroten Kostüm und passenden roten High-Heels gesehen. Sie wird jetzt zum dramaturgischen Höhepunkt ihrer Multimedia-Performance kommen, indem sie Techniker bitten wird, große Scheinwerfer auf das Publikum zu richten. "Kenny, könnten Sie jetzt einen Scheinwerfer einschalten, damit wir uns die Jungs auch genau ansehen können. Na, meine Damen, was sehen Sie?" Zu sehen sind jetzt auf der Video-Projektionsfläche statt ihrer Großaufnahme Bilder aus dem Publikum, die gezielt junge Männer herausholen. Die Kamera hat also die Perspektive gewechselt: Gegenschuß. Daß dies aus weiblicher Perspektive geschieht, kommentiert sie selbst überdeutlich - "damit wir uns die Jungs auch genau ansehen können" -, indem sie zusätzlich explizit das weibliche Publikum adressiert: "Na, meine Damen, was sehen Sie?" Dieser feministische Drehpunkt ihrer Vorlesung wird prompt mit einem vielstimmigen jauchzenden Schrei aus dem weiblichen Publikum beantwortet. "Ein paar ziemlich hübsche Typen, finden Sie nicht auch? Wenn die Sie auf einen Drink einladen würden, würden Sie doch mitgehen, nicht wahr?" Konsequenterweise hat sie bereits begleitend zu diesen Worten, die zum genauen Hinsehen auffordern, eine Manipulation an der Bildprojektion vornehmen lassen. Zwischen die Bilder der Männer aus dem Saal sind Bilder bekannter Serienkiller gemischt. Signalhaft ist beispielsweise John Wayne Gacy in seiner charakteristischen Clowns-Maske eingefügt. Nur das meist verlegene, ertappte Lachen der Männer im Saal, sobald sie vom Scheinwerfer getroffen groß auf der Projektionsfläche erscheinen, trennt die Polizeiphotos von den männlichen Zuhörern. Die dramatische Aktualisierung und Annäherung von Möglichkeits- und Wirklichkeitsform, Vergangenheit und Gegenwart wird kommentiert: "Ich möchte Ihnen etwas Wichtiges sagen: 9 von 10 Serienmördern sind männliche Weiße zwischen 20 und 35. Genau wie die Jungs hier." Nun folgt die sich später als strukturgebend erweisende Aufzählung, die zunächst nur pflichtgemäß dem Wissen Tribut zu zollen scheint, und dabei doch eigenartig verfährt: "Albert de Salvo, Bianchi und Buono, Berkowitz, Dahmer, Ted Bundy - sie waren still, eher bescheiden, sogar nett, sie hatten Jobs, sie waren anständige Nachbarn, ihre Opfer vertrauten ihnen."

 

Entscheidend im weiteren Film wird die Frage nach dem Muster werden, das die Auswahl und Reihenfolge dieser Aufzählung bestimmt haben wird. "Das FBI nimmt an, daß in diesem Augenblick, während ich hier zu Ihnen spreche, etwa 35 Serienmörder nach Opfern Ausschau halten. Okay, setzen Sie sich lieber, bevor Sie mir Angst machen. Serienmörder sind keine Erfindung des 20. Jahrhunderts, aber unsere Gesellschaft bringt sie in immer größerer Zahl hervor. Der Staat Florida gab 8 Mio. $ für die Hinrichtung von Ted..." Sie bricht hier ab, weil sie durch eine Person im Publikum irritiert ist. Wir sehen einen jungen Mann eine obszön wirkende Geste in die Richtung von Helen Hudson ausführen: er schlitzt mit dem Zeigefinger symbolisch die Kehle auf. Dieser wird sich später als gerade entflohener Serienkiller Daryll Lee Cullum herausstellen. Helen Hudson ist irritiert; das nächste Bild zeigt einen Security-Mann, der bereits nervös zum Revolverhalfter greift; wieder sehen wir wie mit den suchenden Augen Helen Hudsons den Ort, wo gerade noch der Bedroher saß, jetzt mit einem anderen neutralen Mann an der gleichen Stelle besetzt. Hudson hat sich wieder gefangen und spricht weiter, um zum aufgeklärten Schluß zu kommen "Entschuldigen Sie. Der Staat Florida gab 8 Mio. $ für die Hinrichtung von Ted Bundy aus. Hätte man ihn für so viel Geld nicht lebenslang in Gewahrsam behalten sollen, um ihn zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung zu machen? Besteht unsere größte Hoffnung nicht darin, die Ted Bundys der Zukunft zu identifizieren, bevor sie töten? Ich danke Ihnen."

 

Solch liberale Geste einer Wissenschaftlerin, die sich sicherer glaubt als sie ist, deutet bereits voraus, daß Helen Hudson eine ist, die vergessen haben wird, sich selbst als potentielles Opfer mitzuzählen. Die anschließende mörderische Szene auf der Damentoilette, bei der sie nur knapp überlebt, zeigt, daß die Serienkiller schnell von ihr lernen. Der Trick Daryll Lee Cullums, der sie in transvestischer Verkleidung auf der Damentoilette erwartet, hat nicht zufällig einen exklusiv weiblichen Ort gewählt. Gezeigt wird ihre übertriebene Hygiene, die wie eine konfliktreiche Verhaftung in der 'normalen' weiblichen Identitätgelesen werden könnte: bevor sie sich auf die bereits äußerst hygienisch wirkende WC-Brille setzen will, befestigt sie pedantisch Toilettenpapier auf dem Sitz, um unter keinen Umständen mit ihrer Haut in Kontakt zu der eventuell infektiösen, intimen Kontaktfläche zu anderen Frauen zu kommen. Sie strebt in einer allumfassenden Geste diejenige Kontrolle auch im intimsten Bereich an, die sie in ihrer Vorlesung gegenüber den verwirrenden, schockierenden Fakten ihres Gebietes bewiesen hat. Doch wo sie noch glaubt ihren Körperöffnungen wie den Medientechniken im Saal als Dompteurin vorstehen zu können, wird sie plötzlich dramatisch an einer Drahtschlinge aufgehängt werden, fast überlistet von einer Verstellung, die sich bereits ihrer Lehre adaptiert hat. Gewarnt hatte sie vor 20-35 jährigen männlichen Weißen, nicht vor weiblichen. Die unter einer WC-Tür sichtbaren hochhackigen Pumps hatten zur vermeintlichen Bestimmung der Geschlechtsidentität genügt, um den kontrollierenden Security-Mann sich diskret zurückziehen zu lassen. Im übertragenen Sinne könnte insofern vielleicht als angreifbarster Punkt der Wissenschaftlerin ein feministischer Diskurs gelten, der die Vorstellung eines Männlichen und Weiblichen als Identitäten beibehält und 'sich' selbst in die Position eines Wissens nach männlichem Vorbild eingesetzt hat: wie eine 'empirisch transzendentale Dublette'[18] betrachtet sie 'sich' von 'männlicher' Perspektive aus. Zu solcher Dublette unter fremder Herrschaft wird sie auch mit der Drahtschlinge fixiert: zwischen Leben und Tod.

 

Diese Positionierung wird sich im Laufe des Films verändern, am deutlichsten vorgeführt in der finalen Wiederholung des Mordversuchs an ihr auf der gleichen Damentoilette, dieses Mal durch einen noch gewitzteren Schüler ihrer Lehre, den Copycat-Killer.

 

Agoraphobie

Nach der Titel-Einblendung, die zum ersten Mal im Englischen den Titel 'Copycat' zu sehen gegeben haben wird - 'Nachahmerin' - sehen wir Helen Hudson 13 Monate später in anderer Verfassung. Sie wird zum kleinen Schatten ihrer einstigen großen Projektion geworden sein. An ihr Apartment gefesselt, traumatisiert und von Angstattacken geschüttelt, hat sie den Außenkontakt weitgehend auf die elektronische Kommunikation per Email und Chat, sowie interaktives Schachspielen eingegrenzt. Kognakglas und Tabletten gehören ebenso zur Grundausstattung des Lebens wie ein sie versorgender und abschirmender Assistent, der schwule 'Andy'. Die erste Szene in dieser Umgebung zeigt, wie Helen nachts von Panik geschüttelt erwacht, nach 'Andy' rufend zum Medikamentenschrank eilt, um sich Abhilfe vor der Attacke zu verschaffen. Auch hier sehen wir in einer kontrastierenden Wiederholung des Bildes im Hörsaal eine andere Verdopplung ihres Gesichts als vormals durch die große Videoprojektion. Es ist nurmehr die kleine Spiegelfläche in der Tür des Medikamentenschranks, auf die sie zustürzt, um sich zu stabilisieren. Wir sehen, was sich materialiter hinter diesem 'Selbstbild' verbirgt, eine Batterie von Psychopharmaka. Auch wiederholt sich kontrastierend noch etwas anderes: eine Art von Litanei, die sie aufsagt, und die an ihre vormalige Aufzählung der Serienkiller erinnert: "Albert de Salvo, Bianchi und Buono, Berkowitz, Dahmer, Ted Bundy – sie waren still, eher bescheiden, sogar nett..." In der Situation der Panikattacke sagt sie sich jedoch nicht diese Namen auf, sondern die Repräsentanten amerikanische Nationalidentität, die fast wie das ABC zum eingepaukten Wissen amerikanischer Schüler gehören: die amerikanischen Präsidenten. Sie stottert nach einem Schrei des Aufwachens und lautem Luftschnappens diese Namen wie eine Anrufung von Schutzgöttern heraus: "John Adams ... Adams.... Jefferson, James Monroe, James Madison, John Quincy Adams.... Andy... Andy..., John Quincy Adams, Andrew Jackson, Martin van Buren ... Moment mal, das ist doch Blödsinn ...Calvin Coolidge ... Andy" (sie schluckt schließlich ihre Tabletten vehement mit einem großen Schluck Wasser hinunter. "Oh Gott". Sie versucht sich an einer Namensserie wieder zu lokalisieren und als Ich nach dem Erwachen herzustellen, im Versuch, sich an den Namen der Männer ordnend zu rekonstruieren.

Tatsächlich wird an ihrer Aufzählung deutlich, daß sie durcheinander ist. Sie sagt es selbst: "das ist doch Blödsinn". Ihre Aufzählung, unterbrochen und ungleichmäßig ist vor allem eines, sie ist nicht chronologisch. Wenn die Reihenfolge der Präsidenten numerisch angegeben würde, hätte sie folgende Serie gebildet: 2, 2 oder 6, 3, 5, 4, 6 ...Andy .... Andy, 6, 7, 8 ... Moment mal, das ist doch Blödsinn ...30, ...Andy. Interessant ist der Moment, in dem sie sagt, daß das doch Blödsinn sei. Es ist nicht der Moment, an dem sie gerade einen Fehler in der Chronologie begangen hätte. Sondern gerade danach macht sie einen großen Sprung bis zum 30. Präsidenten Calvin Coolidge. Gibt es eine andere Regel, nach der sie die Namen sortiert?

 

Ihre Aufzählung wählt ähnliche Initialen aus, die so etwas wie Alliterationen und Assonanzen ergeben: J, A, A, J, J, M, J, M, J, Qu, A, A, A, J, Qu, A, A, J, M, V, B ... Moment mal, das ist doch Blödsinn, C, C. Es scheint, als wäre sie unbewußt einer anderen Regel bei ihrer stoßgebetartigen Aufzählung gefolgt, die ihr bewußt wird, als sie die zwei neuen Anfangsbuchstaben 'V' und 'B' von van Buren in ihre Serie aufnimmt. Denn danach geht sie unchronologisch weiter zum alliterativen doppelten C des Namens Calvin Coolidge.

 

Wenn man davon ausgeht, daß sie 'sich' aus dem formlosen Schrecken mithilfe dieser seriellen Aufzählung 're-konstruiert' hat, dann hat sie 'sich' gerade eine andere Gestalt gegeben und dies bemerkt. Sie ist einem anderen Gesetz als der gelernten Litanei männlicher Herrschaftsfolge nachgegangen, das sich ihr in dem Moment seiner performativen Realisierung als neues Muster bewußt wird. Ihr eigener Name hat zwei gleiche Initialen: Helen Hudson. Es wären insofern Gestalt oder Klang der Buchstaben, nicht die mit den Worten identifizierten Bedeutungen oder Autoritäten, die 'sie' nach neuem Gesetz analysiert und zusammengefügt hätten.

 "Oh Gott..." Sie wendet sich danach ihrem ununterbrochen online geschalteten Computer zu, ihrem Fenster zur Welt, der die Buchstabenfolgen permanenter Chats ungehindert auf das Display hineinströmen läßt. Sie tippt die Worte "Anyone awake?" ein, die wieder eine alliterative Gestalt angenommen haben und bekommt Antwort von einer anderen agoraphobischen Frau.

 

Hierzu passen deutend nicht schlecht folgende Zitate von Jacques Lacans aus 'Psychoanalyse und Kybernetik oder von der Natur der Sprache': "Der Wissenschaft dessen, was sich immer am selben Platz wiederfindet, substituiert sich so die Wissenschaft der Kombination der Plätze als solcher. Dies in einem geordneten Register, das sicherlich den Begriff des Zuges voraussetzt, das heißt den der Skansion." Und "Ich habe Ihnen die Konvergenz des ganzen Theorieprozesses hin auf ein binäres Symbol genannt, hin auf die Tatsache, daß alles mögliche geschrieben werden kann in Termini von 0 und 1. Wessen bedarf es noch, damit etwas in der Welt erscheint, das wir Kybernetik nennen? Es bedarf dessen, daß das im Realen funktioniert und unabhängig von jeder Subjektivität. Es bedarf dessen, daß diese Wissenschaft der leeren Plätze, der Zusammentreffen als solcher, sich kombiniert, sich totalisiert und ganz von selbst zu funktionieren beginnt."[19] Was sich in der Struktur der Figur Helen Hudsons vollzogen hat, kann eben auch als Darstellung eines Übergangs zur Kybernetik, als 'Wissenschaft der leeren Plätze, der Zusammentreffen als solcher' gelesen werden. Was' ganz von selbst zu funktionieren beginnt', ist eine Verschiebung in der Identität Helen Hudsons, durchlässig für durchfließende Besetzungen wie das Kabel ihres Modems ist sie geworden, keine strikte Herrschaft über die Grenzen des Körpers und des Ichs ist da. Sie identifiziert sich nicht mehr als statuarisches Ich, sondern ist zum Medium wandernder, wandelnder Besetzungen geworden.

 

Daß diese Wandlung von ihr bewußt umgesetzt wird in Überlebensstrategien, kann eine weitere Aufzählung der amerikanischen Präsidenten kenntlich machen, zu der sie Zuflucht nimmt, als sie die Zeitung aus dem Flur in ihre Wohnung holen will und feststellt, daß die Zeitung zu weit in der Mitte des Hausflurs liegt, als daß sie sie erreichen könnte, wenn sie nicht in den Flur geht. "Schon wieder", es ist nicht das erste Mal, daß sie Schwierigkeiten hat, an ihre Tageszeitung zu kommen. Ihren agoraphobischen Anfall bekämpft sie mit folgenden stützenden, jetzt funktionaler mit zur Disziplin rufenden Worten: "George Washington, John Adams, Thomas Jefferson, James Madison, James Monroe, .. Na komm schon..., John Quincy Adams, Martin van Buren" Jetzt ist die Serie wieder fast richtig, funktioniert fast wieder vorschriftsmäßig. Nur zwischen dem 6. und 8. Präsidenten wurde 'Andrew Jackson' ausgelassen, wurde ein leerer Platz gelassen, beziehungsreich zu der Leere, die sie draußen hinter ihrer Wohnungstür bedroht und die sie mit der Serie in Schach halten will, allerdings nicht mit der vollständigen: eine unscheinbare, verschiebbare Leerstelle hat Einlaß gefunden.

 

Leerstelle

"Doch gerade in der von Medien-Informatikern nüchtern und zurecht pragmatisch aufgelisteten Möglichkeit, je nach selektiv definiertem Gebrauch und zugelassener Perspektive den Computer als Werkzeug und als Medium der Mitteilung (oder auch Form der Darstellung) zu definieren, bekundet sich - wegen dieses offenen Spielraums von 'als ob'-Bestimmungen - das tertium datur einer mit sich selbst nie zusammenfallenden Medialität als Leerstelle, als Topik ortloser Platzverschiebungen, die diese Verwendungen oder Wendbarkeiten der universell programmierbaren Maschine erst zu lokalisieren erlaubt."[20]

Diesen Vorschlag, eine Leerstelle und ihre Verschiebung 'als' Medialität des 'Digitalen' anzusehen, im universalisierten Simulationsraum der 'als ob'-Bestimmungen, wird auch der Copycat-Killer aufgreifen, nämlich als in der mörderischen Anwendung - tertium datur- selbst verschiebbar.

 

Auch er steht in enger Beziehung zu einem Computer: "Geh wieder an deinen lächerlichen kleinen Computer," sagt die bettlägerige, tyrannische Ehefrau in grausamer Karikatur eines Normalfalls einer heterosexuellen Ehe, in der die Geschlechter ihren Stereotypen nachgehen, segregiert wie die Damen- und Herrentoiletten. Oder wie - "Ich liebe Dich" - "Ja, ich liebe Dich auch."- , bei welchen Worten er sie nicht auf den Pflichten einfordernden Mund küßt, sondern verschoben - auf die Stirn. Was nun "sein lächerlicher kleiner Computer" wäre, der bereits abfällig von der Ehefrau wie ein (zu) kleiner Penis angesprochen und verkannt wird, stellt sich als Örtlichkeit in der monströsen Maskerade eines Hobbykellers heraus. Dort steht tatsächlich ein online-Computer, mit dem der Killer bereits eine Botschaft an Helen Hudson gesendet hat, um so auch weiterhin seine Morde anzukündigen. Jedoch was ebenfalls "sein lächerlicher kleiner Computer" heißt, das meint einen Ort, an dem das Standardwerk Helen Hudsons "The Mind of a Serial Killer" zu finden ist, ebenso wie - neben einer Unzahl von Tatortphotos - ein gefesseltes, unter durchsichtiger Plastikfolie fast ersticktes Mädchen. Die tödlichen Foltern, die es vom Killer zu erdulden hat, entsprechen dem Buchstaben getreu einem Fall der "Hillside-Stranglers", wie später zu erfahren sein wird.

 

 'Als ob' er einen Mord beginge, 'als ob' er einen (sadistischen) Lustgewinn daraus zöge - und es zugleich tatsächlich tut. Seine 'Medientheorie' und zugleich sein 'Hobby' wäre ein Überschreiten der Organersatz-Projektionen des Technischen. "Sein lächerlicher kleiner Computer" ist zugleich das spezifische Muster des nachgeahmten Mordes wie der Mord selbst: das Mediale. In Abwandlung eines Zitates von Tholen ist es möglich zu sagen: "Aus diesem Grund ist (...) das Mediale auch nichts, was zur natürlichen Wahrnehmung hinzukäme (...) Wahrnehmung ist immer medial, d.h. künstlich affiziert - im Sinne der unverkürzten Bedeutung des griechischen Wortes techné, welches die metonymische wie metaphorische Bedeutung von Verstellung und Entstellung gleichermaßen vereint. Mediales ist die List, die überhaupt etwas erscheinen läßt."[21] Beim Copycat-Killer ist 'Mord' nichts, was zur natürlichen Wahrnehmung hinzukäme, seine nachgeahmten Morde führen die unverkürzte Bedeutung der techné aus: sind die List, die überhaupt etwas erscheinen läßt.

 

Like posed. Something artificial

Nachdem die Leiche des jungen Mädchens aufgefunden wurde, sucht Inspector Monahan überraschend Helen Hudson auf, mit einem Vorwand - 'als ob' sie ihr Telefon benutzen müßte - , was sie auch tatsächlich tut. Ihr ganzes Auftreten, ihre Art sich zu verhalten, wurde von Hudson bei der ersten Begegnung genervt als 'wide eyed little girl routine' benannt und als ein Habitus erkannt, der den Modus operandi des 'als ob' hinsichtlich der Geschlechtsidentität kultiviert. 'Als ob' sie ein kleines Mädchen wäre. Um sich mit ihrem hohen Energie-Level und einer überlegenen intellektuellen und fachlichen Kompetenz in der bornierten Männerwelt des Polizei-Departments durchzusetzen, stellt sie zwei Erscheinungsweisen gleichzeitig aus: 'sich' als Mädchen und als Ermittler. Indem sie von der Aggressionshemmung gegenüber einer (zu) kleinen Frau mit jugendlichem Pferdeschwanz profitiert und zugleich nie mit ihrem vollen weiblichen Vornamen angesprochen wird, sondern als 'M.J.', funktioniert M. J. Monahans ambivalentes Verfahren effektiv - als ob 'sie' so sei: aber wie? Unbestimmbar bleibt, ob 'Girl' oder 'Police Inspector' die primäre Identität darstellten oder eine perfekt ausgeführte Routine wären, mehr noch- unbestimmbar wird eine Identität. Von Routinen wird übrigens auch in Zusammenhang mit Computersoftware gesprochen: dort meint Routine schlicht einen abgrenzbaren Programmteil, der bestimmte Aufgaben wahrnimmt.

An die unangekündigt aufgesuchte Helen Hudson wendet Monahan sich auf eine Weise als würde sie im Zuge der Ermittlungen laut mit sich selbst sprechen: "Es war alles anders, es war ein anderer Täter. (...) Ich denke ich habe mich geirrt. Weil - irgendwas ist künstlich an diesem Mord, es ist wie gestellt. Irgendwie zur Schau gestellt. Sie wurde zur Schau gestellt. Warum schleift er die Leiche auf einen Hügel, noch dazu einen großen, wo sie beim ersten Tageslicht von Touristen gefunden wird?" Helen Hudson fragt nach: "Meinen Sie er hat sein Vorgehen geändert? Das ist noch nie passiert. Diese Kerle sind wie Roboter. Die Morde sind ein Ritual, die Methode selbst Teil des Lustgewinns." - "Warum ist der Computer ausgeschaltet?" - "Weil ich ihn ausgeschaltet habe." - "Das können Sie nicht." - "Das glaube ich aber doch. Möchten Sie, daß ich ihn wieder anschalte?" - "Ja." Helen Hudson schaltet ihren Computer wieder ein. Monahan spricht abwechselnd ins Telefon und zu Helen Hudson: sie führt wiederum 2 Routinen aus, wobei sie zudem doppelt adressiert und Hudson einlädt jedes ihrer Worte zu verfolgen -, also netzwerkend weitere Routinen auszulösen beabsichtigt. Wir hören sie sagen: "Laborergebnisse der Neuen. 2 Sorten Sperma. Ich schätze, das war eine ganze Gang. Danke, daß ich ihr Telefon benutzen durfte." Helen Hudson hat inzwischen sofort im Computer Datenbanken zu Serienkillern und Sperma aufgerufen, und führt Monahans Stichworte über die Befunde an der Leiche selbst weiter, als wäre sie es gewesen, die gerade am Telefon die Laborergebnisse entgegengenommen hätte: "Es gab zwei Sorten Sperma, und der eine war der Sekretor und der andere der Non-Sekretor." - "Woher wissen Sie das?" - "Sie hatte Einstiche von Spritzen an ihrem rechten Arm. - "Beim Test sind keine Drogen festgestellt worden." - "Die Leiche wurde bei einem Schild 'Müll abladen verboten' aufgefunden? Wie das hier?" - "Das Photo hätte ich heute morgen machen können." - Nun Helens aufgeregte Schlußfolgerung: "Scheiße, er hat gewechselt. Von de Salvo zu Bianchi und Buono. (...) Ziemlich gewitzt, unser Täter." - "Aber Sie sagten doch, die sind wie Roboter..." - Helen kontert, ganz auf der Höhe der 'medialen' Spezifik des Digitalen: "Ja aber, wie heißt es so schön, Konsequenz ist der Kobold beschränkter Geister..."

Das gängige Mißverständnis bezüglich eines Roboters liegt darin, ihn als beschränkte Imitation menschlicher Eigenschaften zu verstehen. Daß ein Roboter stets neue, unbekannte, sogar im mathematischen Sinn unvorhersehbare Eigenschaften haben kann, tritt erst mit neueren Modellen unübersehbar vor Augen. Seit dem Übergang von Artificial Intelligence zu biologischen, zu Artificial Life-Ansätzen in der Roboter-Konstruktion sind 'unkontrollierbare' Eigenschaften Zielvorgabe, da nur so eine selbständige Anpassung an die Umgebung oder 'Lernen' möglich sind. Das neu entstehende Konzept eines Roboters läge auf einer Linie mit der Evolution lebender Systeme: "Vermutlich wird dieser Ansatz zu völlig anderen Robotern führen als denjenigen, die wir heute aus Fabrikhallen und Science-fiction-Filmen kennen. Wahrscheinlich ähneln sie eher Tieren: Sie werden Animaten – ohne sich deshalb 'tierisch' zu verhalten."[22] Was dann noch 'tierisch' wäre bedürfte allemal einer neuen Bestimmung. Auf den Punkt bringt die aktuelle Richtung in der Robotik ein Slogan von Rodney Brooks vom Massachusetts Institute of Technology: "Schnell, billig und außer Kontrolle."[23]

 

Das Prinzip des jetzt als Copycat-Killer Erkannten ist seine witzige Gewitztheit. Es ist ein Täter, der Scherze macht wie veränderte Programm-Routinen, die überraschende, tabuisierte Verbindungen herstellen, Stellen und Plätze in einem Kombinationsspiel der Signifikanten vertauschen, so daß ein grotesk Ähnliches und Variiertes entsteht. Im englischen Soundtrack heißt es einmal "This guy is copycating", was seine Verweiblichung durch das Wort 'Copycat' geradezu als performativen Akt ausstellt. Es wäre auch möglich zu sagen, daß er wie eine Mutation in einer seriellen Wiederholungsstruktur funktioniert und vorgeht. Er ist nicht zu 'verstehen', 'inkonsequent', 'außer Kontrolle' wie ein biologisch konzipierter Roboter, oder auch in der Konstellation des Films - wie eine 'Frau'. Monahan wird es direkt fragen: "Warum tut er das?" - Helen Hudson weiß inzwischen die gültige Erklärung, nämlich: "Ich weiß es nicht. Ich meine, diese Kerle sind wie ein Virus. Es gibt immer neue Mutationen." Nicht mehr zu verstehen, sondern als Muster und Variation in einer vielschichtigen strukturellen Operation zu erkennen, ist der Copycat-Killer. Die Begegnung der beiden sonderbaren - jeweils im patriarchalen Muster 'verschobenen'– Frauen bietet die Prädisposition und die ergriffene Chance, dies zu bemerken.

 

Virus

Einen Virus hatte der Copycat-Killer bereits in der ersten Mail an Helen Hudson geschickt. Nach einer Animation des Photos der Copycat-Leiche in der Badewanne zeigt der Movie mit dem Dateinamen 'Tomorrow' ein rothaariges, tanzendes Mädchen auf dem 25. 'Festival der Liebe' im Golden Gate Park. Unter Schreien verwandelt sich dessen Gesicht in einen Totenschädel und plötzlich wird der Körper von großen 'Würmern' zerfressen. Als letztes Bild bleibt das Totenkopf mit dem langen roten Haar vor gänzlich schwarzem Hintergrund stehen. Die 'Würmer' hatten also nicht nur den Körper des dargestellten Mädchens, sondern darüber hinaus auch die umgebenden Bildflächen, ja den sogenannten 'Schreibtisch' der Benutzeroberfläche des Displays 'visuell' gefressen.[24] Dieser Movie vernichtete sich nach dem ersten Abspielen und hatte sich in den Verzeichnissen der Laufwerke und Festplatten unauffindbar gemacht. Seinen Ursprung zu verfolgen wurde so unmöglich gemacht. Deutlicher kann eine Spurlosigkeit einer stellenwertige Platzverschiebung der Termini 0 und 1 kaum ausgedrückt werden. Der Täter sendet mit der Einladung, ihm beim morgigen Mord zuvorzukommen - ihn zu 'verstehen' - einen Virus in den Computer Helen Hudsons. Jedoch nicht um in ihrem Computer Schaden anzurichten, sondern  - als integralen Teil seiner visuell und technisch komplexen Botschaft - um diese vollständig wieder zum Verschwinden zu bringen. Beim Versuch, den Movie nochmals aufzurufen und zu speichern, zeigt sich ein Totenkopf mit kurzen Beinen unter der Überschrift "Now you see me", danach ein nackter Hintern mit den gleichen kurzen Beinen, der sich entfernt, bis in dieser perspektivischen Illusion nicht einmal mehr ein Pixel von ihm auf dem Display zu sehen ist. Hier lautet die Überschrift "Now you don't". 'Als ob' es hier nur um ein Fort/ Da Spiel ginge, wie es noch Sigmund Freud in der Skansion von Präsenz und Absenz als Kinderspiel mit einer Garnspule beschrieben hatte?[25]

 

Aber dürften wir beim Copycat-Killer nicht erwarten, daß solche 'Wiederholung' auch im Theoretischen mit einer Veränderung, einer Mutation versehen wird? Daß die Möglichkeiten des sichtbaren Verschwindens und Wiedererscheinens im 'Digitalen' medial neuen Strukturierungen unterliegen, hat die Botschaft des Copycat-Killers selbst vorgeführt. Der sichtbare 'Fraß' der graphisch animierten 'Würmer' an der sichtbaren Erscheinung der Computeroberfläche war als Operation deutlich von der des als 'Virus' bezeichneten Programms zu unterscheiden, das in die identische Wiederholbarkeit und unbegrenzte Kopierbarkeit digital verfaßter 'Bilder' eine artifizielle Einmaligkeit einführte, selbsttätig ausgeführt als restlose Datenlöschung.

Daß es beim 'digitalen Medium' noch um die Differenz ginge, wie sie mit der Freudschen Erzählung des Fort-Da Spiels in die Psychoanalyse und weiter in die Medientheorie eingeführt wurde, dies würde N. Katherine Hayles bestreiten, folgt man ihren Argumentationen in 'How we became posthuman'[26]: "In informatics, the signifier can no longer be understood as a single marker, for instance an in mark on a page. Rather it exists as a flexible chain of markers bound together by the arbitrary relations specified by the relevant codes. As I write these words on my computer, I see the lights on the video screen, but for the computer, the relevant signifiers are electronic polarities on disks. Intervening between what I see and what the computer reads are the machine code, that correlates alphannumeric symbols with binary digits, the computer language that correlates these symbols with higher-level instructions determining how the symbols are to be manipulated, the processing program that mediates between these instructions and the commands I give the computer, and so forth. A signifier on one level becomes a signified on the next-higher level. Precisely because the relation between signifier and signified at each of these levels is arbitrary, it can be changed with a single global command."[27]

 

Das medial Neue ist hier die Leichtigkeit der Verschiebung auf allen Ebenen - eine Flüchtigkeit, Flüssigkeit des Signifizierten in rest- und spurloser Verschiebbarkeit als neue Qualität, als angewandtes und sich potentiell verselbständigendes Prinzip stellenwertiger Verschiebung. Hayles schlägt darum ein Modell vor, das die Vorstellungen einer Präsenz/ Absenz Relation im Sinne Freuds und in der Deutung Lacans überschreitet, nämlich um die Funktionsweise von Muster und Zufall, 'Pattern' und 'Randomness' erweitert ist. Verständlich wird dieser Unterschied am Beispiel der 'Mutation': "What happens in the case of mutation? Consider the example of the genetiic code. Mutation normally occurs when som random event (...) disrupts an existing pattern and something else is put in its place instead. Although mutation disrupts pattern, it also presupposes a morphological standard against which it can be measured and understood as mutation. (...) Mutation is crucial because it names the bifurcation point at which the interplay between pattern and randomness causes the system to evolve in a new direction. It reveals the productive potential of randomness that is also recognized within infornation theory when uncertainty is seen as both antagonistic and intrinsic to information."[28]

 

Es sind Viren[29], die 'sich' mithilfe von parasitierten Wirtszellen erhalten. 'Sich' bestehend aus genetischem Code, um 'sich' von den befallenen Zellen ausführen zu lassen. Dieses 'Sich' -  das hieße 'sich' wiederholende, vervielfältigende und sprunghaft verändernde Informationsmuster. 'Sich': nichts als Mutation im Sinne von Hayles's Darstellung. Diese mangelnde Identität eines biologischen Virus' stellt ihn bis heute an die strittige Grenze des als lebend Anerkannten.[30] Dies verbindet sie mit den von Programmierern entwickelten Computer-'Viren', die heute teilweise ebenfalls schon als siliciumbasiertes 'Leben' angesehen werden.[31] Was den Computerviren im Vergleich zu den biologischen allerdings bisher fehlt, ist ihre selbständige Mutationsfähigkeit und Anpassung an veränderte Wirtsbedingungen. Diese ergibt sich gegenwärtig durch die menschlichen Programmierer. Doch: "Robuste Computerviren vertragen vielleicht Veränderungen im Programm; wenn sie aber dem biologischen Leben gleichen sollen, dürfen sie sich nicht nur mit Hilfe menschlicher Programmierer 'entwickeln'. Möglicherweise aber ist es nur eine Frage der Zeit und algorithmischer Geschicklichkeit - vielleicht auch einer kleinen Portion Computerzynismus -, bis auch Computerviren über diese Eigenschaften verfügen."[32] Oder weniger skeptisch: "Computerviren stehen gegenwärtig genau an der Grenzlinie zum Leben - und werden diese bald überschreiten."[33]

Dieser aktuell virulenten Vorstellung einer Überschreitung des Unbelebten zum Belebten hin, das hieße auch in deutlichster Zuspitzung vom 'Medialen' in das sogenannte Wirkliche folgt der Copycat-Killer. Im Wirklichen funktioniert sein Konzept als Wette auf seine schöpferischen Fähigkeiten in der umgekehrten Richtung: sein 'Leben' entfaltet sich in den perfekten Morden, die in der Serie formal mutieren und kaum aufzuhalten sind. In diesem Konzept ist die Differenz des Freud'schen Fort und Da- Spiels noch auf die wechselnden elektromagnetischen Ladungen - 0 und 1 im Maschinencode - zu beziehen, jedoch spätestens dann verschoben, wenn die Bezugnahme auf solche binäre Prozessualität jenseits des Menschen als konkretistisches Datenprocessing- mordend - geschieht. Oder wenn einer implementierten Schaltalgebra 'Lebens'-zeugung zugetraut wird.

 

Mutationen

Der Film legt also nahe, daß das Verfahren des Copycat-Killers auf der Struktur von Mutationen eines 'Virus' basiert. Dieser 'Virus' ist im Film als von 'weiblicher' Herkunft und Zielrichtung bestimmbar. Zeigen wird sich im weiteren Verlauf, daß die mörderischen Wiederholungen der von Helen Hudson beschriebenen Fälle der genetische Code (oder das Virus-Programm) sind, das der Copycat-Killer in der Ausführung vermehrt und verändert. Die individuelle Spezifik von Hudsons Aufzählung -  Auswahl, Reihenfolge und Rhythmus - wären in diesem Falle der 'Körper', das Subjekt Helen Hudson als Kette von Signifikanten, die im Zuge der mörderischen Biologie des Copycat-Killers mit ihrem materiellen (Wirts-)Körper kurzgeschlossen werden soll. Dabei wird der Täter die direkte Travestie in ein weibliches Äußeres, wie es Daryll Lee Cullum noch einsetzte, um in die weiblichen 'Zellen' des Damen-WCs einzudringen nicht mehr benötigen. Der Copycat-Killer - als Virus -  dringt nicht mehr nur ein und tötet, sondern er durchdringt und mutiert 'sich' wie die initial aufgezählte Serie mit tödlichen Folgen.

 

Wenn der virale Code die von Helen Hudson eingangs vorgetragene Serie der Serienkiller ist, und wenn zudem das angestrebte Medium eines sich tödlich entfaltenden Lebens die Körper der seriell gemordeten Frauen sind, dann ist 'Weibliches' in der Position des neu zu denkenden 'digitalen Mediums' gebracht. Dies wäre allerdings kein 'Medium' im philosophischen Sinne mehr, verstanden als bloßes Mittel, Milieu oder vermittelnde Trägerschaft. Sondern die virale Idee des Copycat-Killers vom 'Weiblichen' wie dem 'Digitalen' differenzierte nicht mehr zwischen Medium und Botschaft, Mittel und Form. Als eine Molekülstruktur, die zugleich ein Programm und ein Code ist - zwischen totem, chemischem und lebendem, biologischem Körper - , implementiert das Virus seine Botschaft im Realen: zerstörerisch.

 

Die Sequenz im Film, die diese Schlußfolgerungen näher bringt, kreist um eine vergleichsweise altertümliche Botschaft des Täters, eine Collage, die aus ausgeschnittenen Buchstaben auf Papier besteht. Er läßt bei der Simulation des "Son of Sam"-Killers David Berkowitz einen Brief zurück, eine Botschaft an Helen Hudson ebenso wie an Monahan und die ganze Polizei. Der Brief richtet sich mit dem ersten Wort an 'Helen' und wiederholt mit der Variation der ersten Zeile das Lied "Murder by Number" von der Gruppe 'Police'. "Helen, don't you loose your head. Once that you've decided on a killing, first you make a stone of your heart, and when you find that your hands are still willing, then you can turn murder into art. It's murder by numbers 1,2,3. It' s as easy to learn as your ABC."

Es ist diese Nachricht, die zum einen offensichtlich macht, daß Helen Hudson im Plan des Copycat-Killers eine privilegierte Stellung einnimmt, zum anderen bringt sie Monahan auf die Frage nach der Chronologie der bisher nachgeahmten Morde. Hudson eröffnet ihr, daß die Reihenfolge nicht chronologisch sei, und keinen Sinn mache - ,bis sie plötzlich erkennt, daß es genau die von ihr in der Vorlesung gewählte Reihenfolge ist, nach der der Mörder bisher vorgegangen ist. Dies ist eine Reihenfolge, die gerade nicht nach dem Schema 1,2,3 bzw. ABC verfährt. Helen Hudson sagte zu Beginn des Films und verifiziert dies durch eine Blick auf das Computerdisplay mit ihrem Vorlesungstext: "Albert de Salvo, Bianchi und Buono, Berkowitz, Dahmer, Ted Bundy - sie waren still, eher bescheiden, sogar nett..."

Die Aufzählung verfährt genauso 'blödsinnig' wie Helen Hudsons nicht chronologische Anrufung der amerikanischen Präsidenten während der früheren Panikattacke. Es ist ihre 'Blödsinnigkeit', die sie zu einem Individuum, einem wiedererkennbaren Muster macht, oder anders gesagt, es ist die unsinnige Folge das 'Persönliche', die wiedererkennbare 'Handschrift'. Alle anderen Elemente ihrer Vorlesung waren engagierte, routinierte Vermittlung von Forschungsergebnissen und politischen Schlußfolgerungen, jedoch das Subjekt 'Helen Hudson' in intimer Nähe zeigte sich unwillkürlich im nicht Legitimierbaren ihrer willkürlich, wie zufällig gewählten Reihenfolge. Dieser Moment ist insofern bereits eine poröse Stelle in ihrer vortragenden Selbstdarstellung gewesen, als die kurze Aufzählung der Serienkiller-Namen Rhythmus und Sinnlichkeit Helen Hudsons ins Spiel brachte, wo 'sich' unwillkürlich etwas zeigte, wahrnehmbar vielleicht als Liebe zu ihrem Forschungsgebiet, den Serienmördern, als Leidenschaft für die pedantischen Rituale wissenschaftlicher Darstellung oder als sonderbare Poesie der Namensanordnung? Womöglich will der Copycat-Killer diese Ungewißheit ergründen und so erledigen, indem er sie nachbuchstabiert, mehr noch 'selbst' zum effektiven reproduktionsfähigen Virus im Muster dieser Serie wird.

 

Zurück zur filmischen Ereignisfolge, die als Entziffernung dieses viralen Musters gelesen werden kann: Nachdem nun Andy, der Assistent Hudsons nach dem Vorbild einer Tat Jeffrey Dahmers ermordet und verstümmelt worden ist - er treibt kopflos im Meer - wird allgemein erwartet, daß entsprechend des Musters aus ihrem Vorlesungstext als nächster Fall 'Ted Bundy' vom Copycat-Killer imitiert würde.

 

Doch da sind wahrscheinlich alle Beteiligten auf den sonderbaren maskeradehaften Kunstanspruch der Nachricht an Helen Hudson hereingefallen. Die Deutung, die Helen zu dieser Stelle des Briefes gibt - "then you can turn murder into art" -, lautet: "sich wen auch immer und was auch immer zu nehmen, ohne Danke sagen zu müssen. Er sehnt sich verzweifelt nach Anerkennung." Diese Deutungen gehen noch auf den 'ganzen Menschen', und bilden spiegelbildlich die Position der unterdrückten Weiblichkeit ab: nämlich Helen Hudsons eigene Situation. Sie faßte einst ihre Vorlesung als Multimedia- Kunstwerk auf, sehnte sich nach Anerkennung und äußerte mehr als einmal im Film den Wunsch nach "einem Mann". Sie begeht den Fehler , 'sich' mit dem Mörder 'verstehend' zu identifizieren. Sie und Monahan gehen davon aus, daß vom Täter eine doppelbödige Verknüpfung angelegt ist: "Wenn er berühmt werden will, dann muß er gefaßt werden. Und wenn er gefaßt wird, dann können Sie ein Buch über ihn schreiben." Erst der gefaßte Täter könnte die Anerkennung bekommen, - 'als ob' er die suchte.

 

Was Helens Leseweise des Briefs entgeht, ist eine Leerstellenverschiebung, die als Mutation solchem unterstellten 'Weiblichen' -' als verletztem, gekränktem, leidenden, begehrendem Subjekt - gilt. Was der Copycat-Killer tatsächlich unternimmt, ist das Verschieben der Zuordnung von Opfer- und Täternamen. Er läßt einfach den nächsten seriell erwarteten Copycat-Mord aus, nämlich seine Verkörperung 'Ted Bundys'. Die Serialität, die gerade erst entziffert war, und für zwei Morde zutreffende Voraussagen bieten konnte, wird wieder verlassen. Er ist so der Ermittlung mehr als einen voraussagbaren Schritt voraus. Wenn es im Brief noch hieß 'Helen, don't loose your head', so verliert doch stattdessen daraufhin Andys Leiche durch den simulierten 'Jeffrey Dahmer' seinen Kopf - im buchstäblichen Sinne. Statt 'Ted Bundy' hat sich der Killer entschieden, einen in Hudsons Aufzählung nicht genannten, aber in der Vortragssituation leibhaftig anwesenden Killer zu erwählen, nämlich jenen 'Daryll Lee Cullum', der nach der Vorlesung den Mordversuch an Helen Hudson unternahm. Daß der Copycat - Killer und Daryll Lee Cullum seitdem eine Verbindung aufgenommen hatten, war Helen Hudson und Monahan spätestens seit einer Videokonferenz mit Daryll Lee Cullum bekannt. Helen Hudson, die sich einmal wütend als "the fucking muse of serial killers" bezeichnet hatte, war der Lösung schon nahe, indem sie 'sich' damit bereits als Antrieb und Ziel der Serienkiller- im Imaginären - ausgemacht hatte. Daß 'ihr' vom Copycat-Killer darüber hinaus noch eine andere totalisierende und identifikatorische Verortung zuerkannt wird, die einer digitalen Maschine, prozessierend im Realen, wird erst mit dem zweiten Mordversuch an ihr klar.

 

Verschiebung

Dies wird spätestens der Fall sein, als Helen Hudson wieder im gleichen blutroten Kostüm in der gleichen Damentoilette halb stranguliert in der Drahtschlinge hängt. Der Copycat-Killer wartet - um die Situation nach dem Vorbild Daryll Lee Cullums als Doppelmord nachzuahmen und zu vollenden - auf Monahan, die er durch eine Video-Nachricht an den Tatort gelockt hat. Sie erscheint und läßt sich tatsächlich durch eine weitere Verschiebung des Copycat-Killers im Muster der wiederholten Crime-Scene täuschen. Der Täter hat sich in die Position des erschossenen Security-Manns begeben: er versteckt sich nicht wie Daryll Lee Cullum hinter der Tür, sondern nimmt - in der Maskerade der schwarzen Uniform - den Platz des Toten ein. Monahan läßt sich von ihm überlisten, sucht ihn am 'originalen' Platz, ist ihm dadurch in die Falle gegangen und bricht unter seine Schüssen zusammen. Es sind leichte Blutspuren auf den weißen Kacheln zu sehen, als sie vor der Spiegelwand zusammenbricht: 'als ob' sie tot wäre.

 

Helen Hudson hat auch gelernt, sie wendet ihr Wissen 'unmenschlich', ohne Rücksicht auf ihre Selbsterhaltung an. Sie sagt: "Fuck you." - "What?" - "You heard me, you little twerp. Do you think I'm afraid of you?" - "I know you are." - "I know all about you. You're just a sad, second rate, boring, impotent little copycat." [She laughs] - "Watch it bitch or I will slice that smile off your face, do you hear me?" - "Daryll Lee couldn't get it up either." - "DO YOU HEAR ME?" - [Helen spits in Peter's face] - "OK, I see Helen. Nice try. You wanna know a little secret? Huh? I'm on to your trick. I won't kill you fast no matter how much you're gonna want me to."[34]  Sie schafft es dennoch, den Copycat-Killer zu zwingen sie aus der Aufhängung zu befreien, indem sie sich in die Schlinge stürzt und unmittelbar zu sterben droht. Ihr 'Leben' hat sie in eine stellenwertige Verschiebbarkeit gebracht, was bei geschicktem - spielverderbendem, störendem - Einsatz tatsächlich im weiteren Verlauf zu ihrer vorläufigen Flucht aus dem Toilettenraum führt. In diesem Augenblick größter Not und Verlassenheit, überwindet sie ihre agoraphobische Fixierung und überträgt das Konzept der Leerstelle auch auf den letzen Raum des Hochhausdaches, dem Endpunkt ihrer Flucht vor dem Killer, am Rand. Ist es das Ende der Serie oder ein Platz wie jeder andere in einem Muster von grenzenloser, restloser Verschiebbarkeiten?

 

Anscheinend weiß Helen Hudson etwas, das diese Frage verschiebt, nämlich daß sie nicht die einzige Figur im Spiel ist. Denn in der englischen Fassung ruft sie, noch allein auf dem Dach die Worte: "Help us!". Ruft sie wieder Gott an  - der im Kino ja aus dem adressierten Publikum besteht? Bittet sie, ihr und dem Killer zu helfen? Oder schließt sie ihre weibliche Verbündete in die Anrufung ein, die von Schüssen niedergestreckte Monahan? Sie wendet sich dann ihrem Verfolger zu, fordert ihn auf zu schießen und - lacht. Eine grandiose Verschiebung der Schreie der weiblichen Opfer, denn "die Schreie des Opfers mindern seine Qual", waren ihre ersten Worte im Film. Daß statt dem Schuß aus der Pistole des Mannes, nun Schüsse aus der Pistole von Mary Jane Monahan fallen, überrascht - doch Monahan war ja nicht tot, sondern sie brach zusammen 'als ob' sie tödlich getroffen wäre. Wir hätten uns erinnern können, daß sie im Polizeirevier eine kugelsichere Weste unter ihre Bluse zieht und mit den Worten "Ich fürchte dieses Ding macht den Effekt meines Wonderbras wieder zunichte" die Knöpfe ihrer Kleidung schließt. Eine doppelte, weibliche und gepanzerte Hülle führt hier zu der verschiebenden Verwirrung und Täuschung, wie sie vorher der Copycat-Killer in seiner 'weiblichen' Positionierung ausgelöst hatte.

 

Was könnte aus dieser siegreichen Allianz der beiden Frauen abgelesen werden, die sich zum Schluß am äußersten linken Bildrand begegnen werden? Helen Hudson wird 'sich' nicht mehr so wie vorher - 'weiblich' - als "the fucking muse of serial killers" identifizieren; Monahan wird ihr 'als-ob' Spiel als gleichberechtigte Möglichkeit einer aggressiven 'Nicht-Beherrschung' realisiert haben. Sie schießt nämlich in Tötungsabsicht ihr Magazin auf den Copycat-Killer leer, entgegen den von ihr vorher befolgten polizeilichen Regel, nur gezielt den waffenführenden Arm auszuschalten.

 

Die Rand- und Endpositionen, die in den Schlußszenen des Films mehrfach inszeniert werden, können je verschieden gelesen werden. Helen Hudsons Hals in der strangulierenden Drahtschlinge wird bis an die Grenze gerade noch möglichen Weiterlebens zusammengeschnürt. Monahan ist zwar von den Kugeln getroffen, doch hat ihre kugelsichere Weste die Kugeln suspendiert, am Rand des Körpers angehalten. Die Grenze des physischen Fluchtwegs ist für Helen Hudson am Rand des Hochhausdaches erreicht. In einer anders gearteten Endposition befindet sich der Killer, denn die Möglichkeit seiner viralen Programmerfüllung ist bereits unmöglich geworden, wurde in eine banale Tötungsabsicht verwandelt. Sogar der Aufforderung Helens, sie doch jetzt zu erschießen, will er gerade gehorchen. Daß er in diesem Moment hinterrücks, vom äußersten anderen Ende des Daches erschossen wird, macht den imaginären Sieg Helens auf andere Weise im Symbolischen wahr, als Rendezvous mit dem Realen der tödlichen Kugeln.

Daß Monahan hier vom äußersten linken Bildrand agiert, gegenüber von Helen Hudson am rechten Bildrand und am Abgrund des Daches, analysiert das Konzept des Täters zutreffend Für den Copycat-Killer war 'Weibliches' doppelt lokalisiert, in einer totalisierenden Geste an einem Ort verdichtet, der sich nur im Tod widerspruchslos realisierte: im Imaginären wie im Symbolischen. Daß die beiden Protagonistinnen diese Positionen übernehmen und als getrennte ausspielen, läßt die Frauen überleben und tödlich wirken. Daß sie sich daraufhin - nach einem langen Gang Helen Hudsons auf Monahan zu - am linken Bildrand treffen, läßt sie nicht identifikatorisch verschmelzen, sondern sie werden beieinander sitzen, ohne einander zu berühren oder anzusehen. Eine große Spannung liegt in dieser Nuance - fast am äußersten Ende des Films.[35]

 

Hier fallen zwar handlungsimmanent und formal die Entscheidungen, die der Film in theoretischer Reflexion aufgebaut hat. Sie sind dankenswerterweise jedoch komplex lesbar, weil als Frage formuliert. Der Film trägt der gegenwärtigen unentschiedenen Bestimmung des 'Digitalen' als Verschiebung des 'Medialen' im Verhältnis zur Geschlechtsdifferenz, insbesondere der Position eines 'Weiblichen' [36] Rechnung. Wenn die Welt ein Programm 'ist', das auf einem großen kosmischen Computer läuft, [37]  wie es die radikalsten Vertreter des Artificial Life behaupten, was heißt dann noch 'ist'? [38]  Die übergeordnete Frage allerdings, die der Film daran artikuliert, ist diese: Wie wäre ein 'feminstischer' Ansatz anhand der in 'Copycat' ausgeführten Operationen am 'Weiblichen' denkbar?[39]

 



[1] Wiederabgedruckt in: Jörg Schweinitz (Hrsg.), Prolog vor dem Film, Nachdenken über ein neues Medium 1909-1914, Leipzig 1992, S. 208.

[2]Vgl. Claudia Reiche, 'And Dear I wonder, If you'll find love an optical illusion too...", in: Knut Hickethier et al., (Hrsg.), Theater und Film - Übergänge und Anregungen , Hamburg 2000, (Lit- Verlag, in Vorbereitung)

[3].Falls noch von einem 'Medium'gesprochen wertden kann. Vgl. Georg Chrisstoph Tholen, Digitale Differenz, Zur Phantasmazik und Topik des Medialen, in: Martin Warnke, Wolfgang Coy, Georg Christoph Tholen, (Hrsg.), HyperKult. Geschichte, Theorie und Kontext difitaler Medien, Basel, Frankfurt a.M., 1997, S. 99 ff.

[4] "At the beginning of the century there was about one murder a year for every 100,000 people, a figure which climbed to a peak in the 1930s, dropped dramatically post-war, but then rose inexorably during the 1960s to make it ten in 100,000 by 1980 - a tenfold rise since 1900. Thirty years ago, in almost all homicides, the killer had some relationship with his victim. But twenty years on, in the 1980s, 25 per cent of murders were 'stranger murders'(...) Now, in the 1990s, there is a murder epidemic: the USA homicide rate has trebled since the 1960s, and according to FBI estimates there are between thirty and fifty serial killers on the loose in America." In: Moira Martingale, Cannibal Killers, New York 1993, S. 185.

[5] Eine Vielzahl von hochfequwntierten Web-Sites erscheint zum Beispiel bei Eingabe des Begriffs Serial Killer in Suchmaschinen. Verehrung und Faszination spiegelt die bildbasierte Site: http://www.mayhem.net/Crime/serial.html (last accessed 10.5.2000) Wie eine 'Hall of Fame'oder eine biblische Aufzählung geht folgende fListe der 'Nicknames'der Killer vor - selbst vom Seriellen besessen: http://www.angelfire.com/oh/yodaspage/nick.html (last accessed 10.5.2000) "Gilles De Rais-The Original Bluebeard, Vlad the Impaler-Dracula, Elizabeth Bathory-The Blood Countess, Andreas Bichel-The Bavarian Ripper, John Williams-The Ratcliffe Highway Murderer, The Bender Family-The Bloody Benders, Thomas Piper-The Boston Belfry Murderer, Herman Mudgett-H.H.Holmes/The Torture Doctor, Theo Durrant-The Demon in the Belfry, Joseph Vacher-The French Ripper, Johann Hoch-The Stockyard Bluebeard, Bela Kiss-The Monster of Czinkota, Henri Landru-The Bluebeard of Paris, Vasili Komaroff-The Wolf of Moscow, Fritz Haarmann-The Vampire of Hanover, Earle Nelson-The Gorilla Murderer, Peter Kurten-The Vampire of Duselldorf, Albert Fish-The Moon Maniac, Gordon Cummins-The Blackout Ripper, Louise Pette-The Duchess of Death, Alfred Cline-The Buttermilk Bluebeard, Rudolf Pleil-The Death Maker, John George Haigh-The Acid-Bath Killer, Raymond Fernandez/Martha Beck-The Lonely Hearts Killers, Reg Christie-The Monster of Rillington Place, Ed Gein-The Plainfield Ghoul, Melvin David Rees-The Sex Beast, Heinrich Pommerencke-The Beast of the Black Forest, Albert DeSalvo-The Boston Strangler, Ian Brady/Myra Hindley-The Moors Murderers, Charles Schmid-The Pied Piper of Tucson, Gertrude Baniszewski-The Torture Mother, Juan Corona-The Machete Murderer, Edmund Kemper III-The Co-Ed Killer, Paul John Knowles-The Cassanova Killer, Joachim Kroll-The Ruhr Hunter, David Berkowitz-Son of Sam, John Wayne Gacy-The Killer Clown, Kenneth Bianchi/Angelo Buono-The Hillside Stranglers, Peter Sutcliffe-The Yorkshire Ripper, Pedro Lopez-The Monster of the Andes, Richard Ramirez-The Night Stalker, Keith Hunter Jesperson-The Happy Face Killer, Richard Angelo-The Angel of Death, Adolfo De Jesus Constanzo-The Godfather of Matamoros, Jeffrey Dahmer-The Milwaukee Monster, Andrei Chikatilo-The Mad Beast, Ted Bundy-Lady Killer, Joe Ball-The Alligator Man, William Heirens-The Lipstick Killer, Jerry Brudos-The Shoe-Fetish Slayer, Dean Corll-The Candy Man, Larry Eyler-The Interstate Killer, Wayne Williams-The Atlanta Child Murderer, Randall Woodfield-The I-5 Killer, Carol Eugene Watts-The Sunday Morning Slasher, Timothy William Spencer-The Southside Slayer, Vicytor Szczepinski-The Doorbell Killer, Lucian Staniak-The Red Spider, Joseph Smith-The Brides in the Bath Murderer, John Scripps-The Tourist From Hell, Gerald Schaefer-The Killer Cop, Thierry Paulin-The Monster of Montmarte, Anatoly Onoprienko-The Terminator, George Metesky-The Mad Bomber, William McDonald-The Sydney Mutilator, Archie McCafferty-The Mad Dog, Jean-Thierry Mathurin-The Old Ladies Killer, Richard Macek-The Mad Biter, Edward Leonski-The Singing Strangler, Bobby Joe Long-The Classified Ad Rapist, Patrick Kearney-The Trash Bag Murderer, Colin Ireland-The Gay Slayer, Archibald Hall-The Monster Butler, Georg Karl Grossman-The Berlin Butcher, Vaughn Greenwood-The Skid Row Slasher, Cleo Green-The Red Demon, John Wayne Glover-The Granny Killer, Raymond Fernandez-The Lonely Hearts Killer, Nikolai Dzumagalies-Metal Fang, Nannie Doss-The Giggling Granny, Karl Denke-The Mass Murderer of Munsterberg, Dr. Thomas Neill Cream-The Lambeth Poisoner, Rory E. Conde-The Tamiami Strangler, Doug Clark-The Sunset Strip Slayer, John Reginald Christie-The Monster of Rillington Place, Richard Chase-The Vampire of Sacremento, David Carpenter-The Trailside Killer, Harvey Carnigan-The Want-Ad Killer, Gary Carlton-The Stocking Strangler, Werner Boost-The Doubles Killer, Wayne Boden-The Vampire Rapist, William Bonin-The Freeway Killer, Nicolas Claux-The Vampire of Paris"

[6] Zitiert in: Joan Smith, Femmes Totales, Berlin 1998, S. 129.

[7] http://www.liv.ac.uk/InvestigativePsychology/explained/explain.html (last accesed 10.5.2000) "What is Investigative Psychology? Investigative psychology introduces a scientific and systematic basis to previously subjective approaches to all aspects of the detection, investigation and prosecution of crimes. This behavioural science contribution can be thought of as operating at different stages of any investigation, from that of the crime itself, through the gathering of information and on to the actions of police officers working to identify the criminal then on to the preparation of a case for court."

[8]Joan Smith, Femmes Totales, Wie Bilder von Frauen entstehen, Berlin 1998, zitiert David Canter: Criminal Shadows, Inside the Mind of the Serial Killer, London, New York 1994, S. 137.

[9]Copycat, U.S. 1995, 125 min, Rated R, Color, Producer: Mark Tarlov, Arnon Milchan, Director:Jon Amiel, Screenwriter: David Madsen, Ann Biderman, Performer: Sigourney Weaver (Dr. Helen Hudson), Holly Hunter (M.J. Monahan), Dermot Mulroney (Ruben Goetz), Harry Connick Jr. (Daryll Lee Cullum), William McNamara (Peter Foley), Will Patton (Nicoletti), John Rothman (Andy), J.E. Freeman (Quinn).

[10]CD- ROM, Microsoft Cinemania 1997, Roger Elbert Review.

[11]Vgl. http://www.angelfire.com/oh/yodaspage/desalvo.html (last accessed 10.5.2000) "Boston homicide detectives were stalking an elusive killer, blamed for the deaths of eleven women between June 1962 and July 1964. In every case, the victims had been raped -- sometimes with foreign objects -- and their bodies laid out nude, as if on display for a pornographic snapshot. Death was always due to strangulation, though the killer sometimes also used a knife. The ligature -- a stocking, pillow case, whatever -- was inevitably left around the victim's neck, tied with an exaggerated, ornamental bow. Anna Slessers, 55, had been the first to die, strangled with the cord of her bathrobe on June 14, 1962. A nylon stocking was used to kill 68-year-old Nina Nichols on June 30, and Helen Blake, age 65, was found the same day, a stocking and bra knotted around her neck. On August 19, 75-year-old Ida Irga was manually strangled in her home, 'decorated'with a knotted pillow case, and 67-year-old Jane Sullivan had been dead a week when she was found on August 20, strangled with her own stockings, slumped over the edge of the bathtub with her face submerged."

[12] Vgl. http://www.angelfire.com/oh/yodaspage5/hillside.html (last accesssed 10.5.2000) "In precisely two months time, the so-called 'Hillside Stranglers'would abduct and slay ten women, frequently abandoning their naked bodies in a kind of grim display, as if to taunt authorities."

[13] Vgl. http://www.fortunecity.com/roswell/streiber/273/bianchibuono_mo.htm (last accessed 10.5.2000), Die Portraits der "Hillside Strangler" stimmen mit den im Film gezeigten überein. Das Tatortphoto mit der nackten Leiche auf dem Hügel ähnelt der im Film als authentisch gezeigten Abbildung. Vgl. http://www.crimelibrary.com/serial/son/sonmain.htm (last accessed 10.5.2000)

[14] Und dies wäre bereits in den echten Fällen von Serienmord ein kategorial Schwankendes, z.B.: "Although these are sexually motivated crimes, sexual intercourse or orgasm does not always occur. Sometimes the murderer masturbates and sometimes a penis-substitute - such as a piece of wood or a knife - is used to violate the victim", Robert P. Brittain, "The Sadistic Murderer", in: Medicine, Science and the Law, 10/ 1970, zitiert in: Moira Martingale, a.a.O., S. 190.

[15] "Detective Mary Jane Monahan: 'Nobody in this department has ever worked on a serial case.' - Monahan's boss: 'I did too, the Zodiac case!' - Detective Mary Jane Monahan: 'Wasn't he never caught, and didn't he die of old age?'", Memorable Quotes fromCopycat (1995), http://us.imdb.com/Quotes?0112722 (last accessed 10.5.2000)

[16] Gareth Penn, 'Times 17 : The Amazing Story of the Zodiac Murders in California and Massachusetts, 1966-1981, New York 1987.

[17] "Packaged more like a math textbook than a true crime thriller, Penn's TIMES 17 is sure to puzzle (..)1I felt as if a ton of bricks had fallen on me,'Penn writes. 'Instantly ... I knew that everything he had done or written, no matter how mad it may appear, hadto have a discoverable sense.'TIMES 17 is the elucidation of that sense, discovered over six years of intense mathematical and linguistic scrutiny. Using a hybrid of binary math and Morse code, Penn not only cracks the ciphers that had baffled cryptographers since 1970, he also identifies a suspect (...)Even those unconvinced by Penn's methods and unsure of his suspect are sure to be convinced that the case of the Zodiac and his gigantic multimedia art project is unique in the history of crime.", Leser- Rezension auf der Amazon.com Website zur Paperback- Ausgabe von 'Times 17', A Closer Look at the Zodiac Case', January 11, 1998, Reviewer: Jakewark@aol.com from Tamarac, FL. Daß in den 90er Jahren Reinszenierungen der Zodiac-Morde stattfanden, mag geradezu den Ausgangspunkt für das Drehbuch von 'Copycat' geliefert haben. Imitiert wurden in New York die alten kalifornischen Zodiac-Inszenierungen von Heriberto Seda, der 1996 gefaßt werden konnte. "Was für die New Yorker Polizisten (...) zunächst wie ein Routinefall aussah, änderte sich, als Seda sein Geständnis überraschenderweise mit dem Zodiak-Symbol unterzeichnete." Peter und Julia Murakami, Lexikon der Serienmörder, München 2000, S. 439.

[18] "Weil er empirisch transzendentale Dublette ist, ist der Mensch auch der Ort des Verkennens, jenes Verkennens, das sein Denken stets dem aussetzt, das es durch sein eigenes Sein überbordet wird, und das ihm gleichzeitig gestattet, sich von dem ihm Entgehenden zu erinnern." Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge, Frankfurt a.M. 1974, S. 389.

[19] Jaques Lacan, Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, Olten 1980, S. 379-381.

[20] Georg Christoph Tholen, a.a.O. S. 102.

[21] Georg Christoph Tholen, a.a.O. S. 107-108.

[22] Claus Emmeche, Das lebende Spiel, Wie die Natur Formen erzeugt, Reinbek 1994, S. 109.

[23] Claus Emmeche, a.a.O., S. 109.

[24]Im Softwarepaket 'After Dark' gibt es einen entsprechenden Bildschirmschoner mit dem Titel 'Worms', der sich nach einer Arbeitspause in die Bildschirmdarstellung einschaltet, bis die Wurmdarstellungen den Bildschirm leer, d.h. in diesem Fall 'schwarz' gefressen haben. Als 'Worms' werden zudem auch Programme bezeichnet, die sich ähnlich wie Computerviren fatal auf Systeme auswirken, zum Beispiel durch automatisches Kopieren ihres Codes, bis vorhandener Speicher vollgeschrieben und unbrauchbar wird.

[25] Sigmund Freud, Jenseits des Lustprinzips, 1920,in: Gesammelte Werke 13, "... sondern es warf die am Faden gehaltene Spule mit großem Geschick über den Rand seines verhängten Bettchens, so daß sie darin verschwand, sagre dazu sein bedeutungsvolles o-o-o-o und zog dann die Spule am Faden wieder aus dem Bett heraus, begfrüßte aber deren Erscheinen jetzt mit einem freudigen 'Da'." , S. 225.

[26] N. Katherine Hayles, How we became posthumen, Virtual bodies in Cybernetics, Literature, and Informatics, Chicago 1999.

[27] N. Katherine Hayles, a.a.O., S. 31.

[28] N. Katherine Hayles, a.a.O., S. 33.

[29] Vgl. Claudia Jost, Viren, http://www.thealit.dsn.de/LIFE/labor.htm.

[30]  "Es ist noch strittig, ob man die Viren zu den lebenden Mikroorganismen rechnen darf.", dtv Lexikon, Bd 19, Mannheim 1995, S. 195, Vgl. "Neuerdings sind nun merkwürdige Zwischenformen zwischen unbelebtem und belebtem Stoff, die Viren bekannt geworden. (...) Das Merkwürdige ist, daß schon Spuren von ihnen, welche durch feine Wunden in die lebenden Zellen bisher gesunder Lebewesen gebracht werden, sich darin ungeheuer vermehren und die für den betrefffenden Virus kennzeichnende Krankheit hervorrufen; (...) sie vermehren sich nur im lebenden Zellplasma, indem sie dessen Eiweißbausteine zu ihrem eigenen Viruseiweiß zusammenfügen und dabei zum größten Teil verbrauchen, so daß die Zelle dadurch zugrunde geht. Aus dem Dargelegten geht die Zwischenstellung der Viren hervor. Mit den gewöhnlichen Lebewesen besitzen sie die Fähigkeit, fremdartige Stoffe in arteigenes, höchst kompliziertes Eiweiß umzuwandeln und sich auf diese Wesie zu vermehren. Andere Anzeichen eines Stoffwechsels wie Atmung und Ausscheidung zeigen sie nicht; ihre Zusammensetzung aus einem kristallisierbaren Stoff trägt die Kennzeichen eines unbelebten Körpers", Herrmann Linder, Biologie, Lehrbuch für die Oberklassen der höheren Schulen, Stuttgart 1956, S. 338-339.

[31] "Wie von Doyne Farmer und Aletta d'A. Belin ausgeführt, erfüllt ein Computervirus 'die meisten, möglicherweise sogar alle Kriterien (für Leben)..." (J.Doyne Farmer und A. d'A. Belin, 'Artificial Life: The Coming Evolution', in: ALII, S. 815), zitiert in: Steven Levy, KL' Künstliches Leben aus dem Computer, München 1993, S. 403.

[32] Claus Emmeche, a.a.O., S. 49-50.

[33] Steven Levy, a.a.O., S. 406.

[34] http://us.imdb.com/Quotes?0112722 (last accessed 10.5.2000).

[35] Als Nachspann wird daraufhin Daryll Lee Cullum in seiner Gefängniszelle zu sehen sein, der einen Brief schreibt, der zum nächsten Mordversuch an Helen Hudson aufruft, mit der Anweisung es das nächste Mal 'einfacher'zu versuchen.

[36] Vgl. Old Boys Network (Hrsg.), Cyberfeminism. Next Protocols, New York (autonomedia) 2000, in Vorbereitung.

[37] "Some theorists, notably Edward Fredkin and Stephen Wolfram, claim that reality is a program run on a cosmic computer. (Edward Fredkin, "Digital Mechanics: An Information Process Based on Reversible Universal Cellular Automata.", Physica D 45 (1990), S. 245-70. See also the account of Fredkin's work in robert Wright, Three Scientists and Their Gods: Looking for Meaning in the Age of Information, New York 1988. Also central to this theory is the work of Stephen Wolfram; see his Theory and Application of Cellular Automata, Singapore 1986) In this view, a universal informational code underlies the structure of matter, energy, spacetime' indeed, of everything that exists.", N. Katherine Hayles, a.a.O., S.11.

[38] "Wäre das Sein nur das, was es ist, dann gäbe es nicht einmal den Platz, um von ihm zu reden.", Jacques Lacan, a.a.O., S. 284.

[39] Vgl. Aus dem 'Call for Papers': " Old Boys Network (Ed.), CYBERFEMINISM: Next Protocols. (...) Like IF, the basic element of programming languages for case differentiation and ramification - 'Cyberfeminism'indicates an operation. The feed-back loop: 'if x then a else b'sets an unpredictable future for the machine's actions. Who would seriously trust such autonomous operations? Since the war-decision programming of the 40s, almost everybody (preferably without knowing) trusts IF-THEN commands as a means to prophesy the immediate future. Reported errors will already have predicted the unknown message, as a message is the transmission of certain calculable probabilities. Metaphorically (and incorrectly) spoken, a feminist bet could engage in the finding of some less predictable errors - one step beyond coding - in order to trigger a change in the immediate future of the machine's universe. Making a mess of the message? Count differently? Change the alphabet? Calculate faster? Rearm the hardware to devices capable of all of the first four rules of arithmetic? Transmit viruses? Put the data of your genetic fingerprint in an Artificial Life environment to parody literary origin myths? Live new or ambiguous genders? The potential of this situation has not yet been realized in relation to patriarchally coded cultural systems: yet posing unresolvable decision problems, like the halting problem, sometimes turning into infinite feedback- loops ... ELSE IF Cyberfeminism is a simulation.... What will we have been wanting to say? We: some sort of strange new feminists, trying to work out this question theoretically and politically with the foreseen result of changing or even demolishing 'feminism', or 'ourselves'in the way we conceive 'feminism'and 'ourselves'now. So: Cyborg Feminisms? Cyberfeminism? With a Difference? Weaving automatic Feminism like Jaquard's loom? Tinkering with split or second selves? We think: IF you don't make your bets, THEN rien ne va plus... or worse: continues in a way called progress. For IF the bet on what becomes reality is made by women with machines (they'll both win), THEN history can be deciphered in the mode of future perfect - and what will perhaps still be called 'women'continues to simulate. At least that's what we are working with: the utopian space opened up between the meaning and the letter, between the different lectures and practices, between desires and facts - that is working in a zone of passage between informational noise and modes of simulation. Coming out of the vague. (...) ELSE IF Gender is not obsolete... Despite suggestions that one should put hope in a 'monstrous world without gender'(Donna Haraway) why not stick to the intimate monstrosities of sexual difference in an analytical, critical as well as an utopian sense? Assuming that the borders between humans and information processing machines, as between the physical and the non-physical world and some other identity granting convictions will have been shifting or down for quite a while - all this does not necessarily trigger wishes of getting rid of gender, including the most interesting monstrous female sex - the vanishing point probably even of the perspective construction of a 'world without gender'. (...)THEN send your proposal to the OLD BOYS NETWORK! Boys@obn.org.", veröffentlicht auf Mailinglisten 'Faces', 'Nettime'etc. seit 9/1999, author's manuscript, vgl.: http://www.obn.org (Last accessed 1.2.1999).