thealit Laboratorium 29_01_2003 - 16_03_2003


Eingreifen. Viren, Modelle, Tricks
Intervention. Virus, Models, Tricks




"if..." (Lindsay Anderson, GB 1968) als Film und Form einer Frage
Claudia Reiche

Wenn Zöglinge willkürlich gezüchtigt werden, führt das dazu, daß sie mit Maschinengewehren Eltern, Lehrer, Geistliche erschießen? Wenn der Pressetext des Films fragt: Auf welcher Seite stehst du?, ist das ein Aufruf zur Revolution? Nun: "if..." (mit Malcolm McDowell, Richard Warwick, David Wood, Christine Noonan) ist alles, nur kein gewöhnlicher Internatsfilm. Seine Eingriffe in die herkömmlichen Erzählungen von (revolutionären) Subjekten sind zu analysieren.

Vortrag, Video (engl. Fassung)




Erkennen und Eingreifen. Modelle des Bauplans der Natur
Brigitte Falkenburg

Die Naturwissenschaften wollen den Bauplan der materiellen Natur erkennen. Sie greifen durch Experimente in die Natur ein, um Zusammensetzung und Wirkungsweise des Naturgeschehens zu analysieren. Wie gehen dabei Erkennen und Eingreifen zusammen? 1. Experimentelle Methode und mechanistische Naturphilosophie: Galilei, Descartes und Newton legitimierten die Analyse (Zerlegung) und Synthese (Zusammensetzung) von Naturerscheinungen durch die Vorstellung, daß die Materie aus mechanischen Atomen oder Korpuskeln besteht. Der Bauplan der Natur ist danach berechenbar; das Ganze läßt sich aus den Teilen verstehen, die Teile gehorchen mechanischen Gesetzen. 2. Grenzen der Analyse und Synthese: Die Quantenphysik lehrt die Grenzen dieses Erkenntnismodells. Radioaktive Zerfälle und andere Quantenprozesse sind nicht vollständig analysierbar; Messungen greifen unvorhersehbar in subatomare Vorgänge ein. Weitere Überraschungen zeigen sich in der Physik des Komplexen. Der Bauplan der Natur birgt verwirrende Muster, soweit wir ihn aufdecken können, ohne ihn durch unsere Eingriffe zu verzerren. 3. Mechanistisches Denken und genetischer Code: Die Mikrobiologie überträgt die alten mechanistischen Modelle auf organische Makromoleküle und ihre Reduplikation. Die Kodierung genetischer Information beruht auf neuen mechanistischen Modellen aus der Informationstheorie. Die Gentechnologie zielt darauf, nach diesen Modellen in den Bauplan der Natur einzugreifen und ihn zu verändern. Können wir erkennen, was wir dabei tun?



Erfindungen im Labor. Entdeckungen am Modell. Zu den exemplarischen Eingriffen des TMV-Komplexes
Andrea Sick

Labore können als Orte bezeichnet werden, die Wissen herstellen und erproben, indem sie Modellsysteme (Angela Creager) hervorbringen, Die entwickelten Modellsysteme - zu denen z.B. der Tabakmosaikvirus (TMV), die Drosophila, die Maus, die Ratte, der Frosch zählen können - schaffen Bedingungen dafür, ein Wissen verallgemeinerbar zu machen.
In welcher Weise setzt nun die Erfindung von Modellen Analogiebildungen voraus? Wie situiert sich ein Modell als Exempel, für etwas, was noch zu entdecken wäre?
Sowohl Entdeckungen als auch Erfindungen vermögen "Unbekanntes" und "Unsichtbares" sichtbar zu machen. Während nun die Entdeckung mehr auf dem Vorfinden eines "natürlichen Vorgangs" basiert, ist die Erfindung Resultat aufwendiger Experimente, Produkt eines Artefakts, für dessen Entwicklung folglich ein Patent zusteht. Erfindung und Entdeckung greifen bei der Modellierung im Labor ineinander. Es wird eine alternierende Bewegung zwischen "Natur" und "Kultur" beschreibbar, die für die Wirkungsweise der Experimente und ihre Sichtbarmachung entscheidend ist.
Ich möchte exemplarisch anhand der Geschichte der Modellierung und Sichtbarmachung des TMV von 1930-1950 rekonstruieren, wie seine Bilder und Funktionssweisen erfunden werden. Welche Wechselwirkungen zeigen sich zwischen den beiden Betrachtungsweisen, den sichtbaren Gegenstand als Erfindung erkennen, also als etwas, was erst experimentell hergestellt wird, oder als etwas, was ent-deckt, also ent-hüllt wird.
Sofern der TMV als Ursprungsmodell oder Muster erkannt wird, wird dessen Wirksamkeit und Funktionsweisen auf andere Viren wie z.B. den Influenza- oder Poliovirus bis heute übertragen oder kann als Exempel für "Leben" fungieren. In der Rekonstruktion seiner Geschichte treten Praktiken hervor, die das Labor als Produktionsstätte von Modellsystemen kennzeichnen, die Zusammenhänge von Visualisierung und Erkennen schaffen. Die Eingriffe des TMV-Komplexes, werden durch die Suche nach Antworten auf die Frage, wie bestimmt die Technik (hier insbesondere die der Ultrazentrifuge und der Elektronenmikros-kopie) ihr Modell, vorangetrieben. Als Labortrick könnte gelten, dass Techniken ihre Gegenstände machen.




Kunst des Forschens
Elke Bippus

Rheinberger, Wahrig-Schmidt und Hagner erkennen "in der Fokussierung auf Labor-Inskriptionen und auf eine Material-Semantik" das Anliegen, "wissenschaftliches Wissen nicht mehr im abstrakten Raum von Begriffs- und Ideengeschichte zu thematisieren, sondern es in seiner Kontingenz und lokalen Situiertheit, im historischen Kontext seiner Produktion darzustellen." (Rheinberger/Wahrig-Schmidt/Hagner 1997, S. 8). Ist eine solche Tendenz auch in den Geisteswissenschaften zu verzeichnen, die vielleicht angeregt wäre durch die Sensibilität gegenüber der Herstellung von Wissen, die Vorgängigkeit der Repräsentation und die Historizität kultureller Symbolräume und Bedeutungs-systeme?

(Geistes-)Wissenschaft und Kunst sind in ihrer Darstellungsweise maßgeblich den Konstruktionen der modernen Wissenschafts- und Kunstgeschichte verpflichtet: Die moderne Wissenschaft versucht, dem Paradigma der Objektivität entsprechend, ihren Eingriff so gering wie möglich zu halten. Als notwendiger Bestandteil bildnerischer Arbeit moderner Kunst zählt dagegen gerade "die produktive Verwandlung" (Boehm).
Den Signifikanten der Naturwissenschaft vergleichbar, entfalten diejenigen der Geisteswissenschaft ihre Bedeutung in den Koordinaten solcher Räume möglicher Darstellungen, in denen die jeweiligen "Grapheme zu episemischen Dingen" verkettet werden können. (Rheinberger 2001, S. 9) Die Signifikanten der Kunst entwickeln sich in "Erfahrungsräumen" (Bätschmann 1996).

Im Vortrag wird es um künstlerische und wissenschaftliche Darstellungsmodelle gehen. Dabei interessiere ich mich für solche naturwissenschaftlichen und künstlerischen Methoden, welche Prozesse des Forschens und Darstellens herausstellen und sichtbar werden lassen. Am Konnex dieser wissenschaftlichen und künstlerischen Methoden interessiert mich, ob ein Wissenschaftsmodell zu entwickeln ist, mit dem es um das "Machen" von wissenschaftlichen Erfahrungen geht?




Virus versus vitae
Bettina Bock von Wülfingen

Historische und heutige biologische Viruskonzepte werden auf die in ihnen als für "Leben" notwendig behauptete Kategorie "Fortpflanzung" untersucht: Warum ist ein Spermium kein Virus – fehlt es dem Virus an Heterosexualität zum Leben?
Als besonders geeignet, die Vorstellungen der Unterscheidbarkeit von tot/lebendig, gesund/krank, fremd/eigen "viral" vorzuführen, zeigt sich das Projekt der "Immunisierung gegen Schwangerschaft", an dem nicht nur zivil-medizinische BevölkerungspolitikerInnen, sondern besonders militärische VirenexpertInnen in der "Feindabwehr" arbeiten...




IVF-Technologien und die Imaginationen der Geschlechterdifferenz
Anja Zimmermann

Feministische Theoriebildung fokussiert, ebenso wie feministische politische Praxis, immer wieder auf den Körper. Infragegestellt ist nicht nur die Verfügungsgewalt über dessen Funktionen und damit über "sich selbst". Ebenso wichtig ist die Auseinandersetzung mit den "Bildern" vom Körper, sowohl auf sprachlicher als auch visueller Ebene. Weil beides, die Bilder vom Körper und die Körper, zusammenhängt, überschneidet sich auch die Arbeit von Kunstwissenschaftlerinnen, Künstlerinnen und KulturwissenschaftlerInnen, die sich mit diesen und anderen Praxen der naturwissenschaftlichen Visualisierung auseinandersetzen.
In meinem geplanten Beitrag würde ich sehr gerne diesen Überschneidungen an einigen konkreten Beispielen nachgehen. Ausgangspunkt soll, methodisch vielleicht eine herausforderung, medizinisches Textmaterial zur PID sex selection sein, also zur pränatalen Geschlechtbestimmung in-vitro produzierter menschlicher Embryonen. Diese Methode ermöglicht die Sichtbarkeit einer "kleinen Einheit", die einen bedeutenden Teil des medizinisch-naturwissenschaftlichen, aber auch sozialen, politischen und wie ich zeigen möchte auch ästhetischen Diskurses der Zweigeschlechtlichkeit bestimmt: das XY-Chromosom.
Ich möchte daher untersuchen, wie KünstlerInnen mit dieser kleinen, "unsichtbaren", aber paradoxerweise gleichzeitig vehement sichtbaren Einheit umgehen und mit welchen bio-politischen Realitäten sie (und ich) s(m)ich auseinandersetzen müssen.



Mimikry im Afrofuturismus
Dagmar Buchwald

Ausgehend von Ralph Ellisons Roman Invisible Man, Michel Serres' Text Der Parasit und Hakim Beys T.A.Z. werde ich verschiedene Strategien der "nicht-oppositionellen Subversion" (John Corbett) oder des "affirmativen Widerstands" (Andreas Huyssen) im Afrofuturismus herausarbeiten. Dabei reicht das Spektrum der Mimikry im Invisible Man von Simulation des BürgerlichMännlichWeissen-Subjekts über Camouflage im Sinne von 'Unsichtbar-werden' durch 'Aufgehen im Hintergrund' bis zu Chamäleon- und Proteusstrategien ("to do the Rinehart").
Diese aus Invisible Man herausgearbeitete Taktiken von Widerstand durch scheinbare Anpassung wird weiterverfolgt an aktuellen Beispielen aus dem Afrofuturismus: Camouflage und Dissimulation bei Drexciya, Underground Resistance und subliminale Subversion bei verschiedenen afrofuturistischen Plattenlabeln, vorgetäuschter Wahnsinn, Cross-dressing und Maskerade bei einzelnen afrofuturistischen Performern, hybride Identitäten.



System SBF: Inventarisation der Sammlung mit HIDA MIDAS
Nana Petzet

Anläßlich der Ausstellung "Einräumen" in der Hamburger Kunsthalle habe ich seit Oktober 2000 damit begonnen eine computergestützte Inventarisation meiner aus mehreren tausend Einzelstücken bestehenden Sammlung von Haushaltsabfällen, Recyclingobjekten und reparierten Gebrauchsgegenständen zu erstellen. Hierfür verwende ich das ausgeklügelte Kunstinventarisationsprogramm HIDA MIDAS. Dr. Horst Scholz von der Kulturbehörde Hamburg, der unter anderem für die Inventarisation in den Hamburger Museen zuständig ist, hat mit der Einrichtung des Arbeitsplatzes in der Hamburger Kunsthalle und dem Aufbau der speziell für das Projekt zugeschnittenen Datenbank einen erheblichen Beitrag zur Verwirklichung des Projekts beigetragen. In meiner Ausstellung im Cuxhavener Kunstverein im Februar 2002, wurde, unter Anleitung der Kunsthistorikerinnen Dr. Katja Kwastek (Dozentin an der Ludwig-Maximilians-Universität München) und Judith Zepp (inventarisiert für das Wallraf-Richards-Museum Köln), ein workshop mit Studenten der LMU München veranstaltet. Durch die engagierte Mitarbeit der Fachleute und Kunstgeschichtsstudenten konnten bis heute 350 Objekte erfaßt und viele der immer neu auftretenden Definitionsfragen geklärt werden.

Ein entscheidender Schritt steht jedoch noch aus: die Integration meiner Daten in die MIDAS- Datenbank die Informationen zu mehr als 220.000 Kunstwerken, 30.000 Künstlern neben kunsttopographischen Einheiten und 30.000 ikonographischen Themen (das gesamte ICONCLASS-System) enthält. Dieser Datenbestand wird jährlich auf CD-ROM publiziert (Marburger Index Datenbank, Saur-Verlag). Um an der Publikation teilnehmen zu können, muß meine Datensammlung vereinheitlicht und redaktionell bearbeitet werden. Sollte die Integration meiner Daten gelingen, wäre ich, neben Museen und Privatsammlungen, die erste Künstlerin, die Daten in den Verbund einbringt. Bereits die Frage nach dem Status der, die Objekte Verwaltenden Institution, macht meine Inventarisation zum Präzedenzfall. Darüber hinaus habe ich bewusst angestrebt, die Software (HIDA), insbesondere jedoch das verwendete Regelwerk (MIDAS) in all ihren bzw. seinen Möglichkeiten anzuwenden, um einerseits Einsichten in die Strukturen der Objekte und Erkenntnisse über meine eigene künstlerische Vorgehensweise zu erhalten und andererseits zu überprüfen, inwieweit ein an den traditionellen Kunstformen des Abendlandes orientiertes und entwickeltes Regelwerk zur Klassifikation von Kunstwerken auf alltägliche Gegenstände anwendbar ist und damit auch einem erweiterten Kunstbegriff Rechnung tragen kann.

In Gesprächen mit Fachleuten zeigte sich, daß HIDA MIDAS sehr umstritten ist und daß sich an den Argumenten der Befürworter, bzw. der Gegner, ein tiefgreifender Wandel im Selbstverständnis von Museumsinstitutionen ablesen läßt, daß also die Ideale, die vor 30 Jahren zur Errichtung dieses Datenverbundes führten, gründlich ins Wanken gekommen sind.




Vir(tu)ale Homo-Sexualität (um 1900)
Julika Funk

Der Vortrag will die Durchlässigkeit zwischen Wissensdiskursen und Literatur um 1900 nachvollziehen, aber auch ihre Grenzen abtasten. Es geht um die unheimliche Allianz zwischen Sexualwissenschaft und homosexuellen Emanzipationsbewegungen, und es geht um die Doppelbödigkeit literarischer Schutzmaßnahmen und ihrer utopisch-überströmenden Kehrseite. Die Sexualwissenschaft des 19. Jahrhunderts pathologisiert Homosexualität: sie wird als etwas gedacht, das - aktiv ausgelebt - ansteckend und erregend ist. Die ersten Emanzipationsbewegungen wollten in der Naturwüchsigkeit dieses Phänomens eine Legitimation für Homosexualität sehen. In der Literatur stehen Ansteckung der Bilder gegen Ansteckung der Worte. Strategien der Maskerade transportieren und streuen Diskurs- und Lust-Partikel.



"… we define boundary objects as those objects that both inhabit several communities of practice and satisfy the informational requirements of each of them…"
Geoff Bowker / Susan Leigh Star


Virulente Elemente:
Emergenz, Leben und andere 'boundary objects'
Jutta Weber

Emergenz, Leben, Komplexität, aber auch Embodiment oder Situiertheit sind Elemente, die in Techno- wie Humanwissenschaften virulent sind. Sie wandern munter zwischen den verschiedenen Wissenskulturen hin- und her und verändern in dieser Bewegung ihre Bedeutung. Der 'Ursprung' von virulenten Elementen wie Emergenz, Cyborg oder Komplexität wird häufig den Technowissenschaften zugeschlagen. Gleichzeitig geben sie zentrale Bausteine humanwissenschaft-licher Theorien ab, welche selten auf das technowissenschaftliche Gepäck dieser Termini reflektieren. Auf jeden Fall prägen diese transdisziplinären Termini bzw. 'boundary objects' (Star) entscheidend Gesellschafts- wie Denkverhältnisse.
In meinem Beitrag möchte ich den viralen Verwandlungskünsten der 'boundary objects' und ihren Bewegungen zwischen den Disziplinen folgen. Die Ausblendung technowissenschaftlicher Altlasten von Konzepten in den Humanwissenschaften soll genauso thematisiert werden wie die Idee eines per se kreativen und kritischen Potentials technowissenschaftlicher Konzepte und der ihr immanen-ten 'Poetik des Wissens', wie sie von einigen WissenschaftstheoretikerInnen formuliert wird. Die mangelnde Aufmerksamkeit für die Verwendung humanwissenschaftlicher Konzepte in den Technowissenschaften wird am Beispiel der virulenten Elemente 'Embodiment' und 'Situiertheit' in neuerer Robotik expliziert.



Gabe und Besessenheit. Modelle der Affektion
Katrin Busch

Die Gabe verstanden als Übertragung von Objekten, die wir als unser Eigentum ansehen, ist - kulturgeschichtlich betrachtet - eine späte Erscheinung. Durch Marcel Mauss wissen wir, daß die Gabe in fremden Kulturen und fernen Zeiten eine Form der Transaktion darstellt, die keineswegs auf Besitztümer beschränkt ist. Vor der Unterscheidung von Person und Sache angesiedelt sind Besessenheit, religiöse und geistige Kräfte sowie Ekstasen Gegenstände der Übergabe. Dieser Ungeschiedenheit von Person und Sache oder Sein und Haben ist nach Mauss nicht nur die der Gabe innewohnende Pflicht zur Rückgabe geschuldet, sondern sie ist Ursache der gefährlichen Ambivalenz von Gabe und Gift. Durch die Annahme einer Gabe empfängt der Nehmende von der geistigen Macht des Gebers und liefert sich der Besessenheit durch den Anderen aus. Der Erhalt einer Gabe kommt einer Ansteckung durch Andersheit gleich. Besitz schlägt in Besessenheit um, Gabe in Enteignung. Daß dieser Zusammenhang von Gabe und Besessenheit nicht in den Bereich der Archaik zu verweisen ist, läßt sich an dem Versuch des Philosophen Levinas ablesen, der die Figur der Besessenheit durch den Anderen zur ethisch verstandenen Grundstruktur von Subjektivität erhoben hat.

In meinem Vortrag werde ich dieses Modell von Gabe und Besessenheit auf den Bereich der Kunst übertragen. Ausgehen möchte ich von Artaud, der nicht nur das Geben auf den Prozeß der Hervorbringung bezogen, sondern das Prinzip der Ansteckung als Modell künstlerischer Wirksamkeit entworfen hat. Das Kunstwerk soll sich auf den Betrachter wie eine ansteckende Krankheit übertragen. Diesseits von aktiver Rezeption und geschärftem Bewußtsein wirkt sich fast unmerklich und unterhalb der Wahrnehmungsschwelle die Kraft des Werkes im Betrachter aus und ergreift von ihm Besitz. Artaud hat allerdings nicht allein Ansteckung als tertium comparationis zwischen Krankheit und Kunst aufgerufen: beide verbindet außerdem das Vermögen, dem in den tiefsten Schichten unseres Organismus Schlummernden zum Ausbruch zu verhelfen. Dieses Entfachen von Entzündlichem rührt zum einen an eine latente Schicht von Grausamkeit und Trennung, es zeigt sich zum anderen der Aufmerksamkeit gegenüber dem Unrealisierten verpflichtet.

Um solche Formen von Freisetzung und Gabe zu erwirken, beruft sich Artaud - und dies wird mich zu Fragen der Intermedialität führen - auf die Verflechtung der Künste. So greift er zur Veranschaulichung der Idee des Theaters auf die Beschreibung eines Gemäldes zurück, und so sucht er die Kraft der Malerei vermittels musikalischer Prinzipien zu erläutern. Meine These ist, daß die Gabe der Kunst im Sinne einer impliziten Intoxikation eine Ansteckung zwischen den Kunstformen erforderlich macht. Die Kraft des Werkes spielt nicht auf der gleichen Ebene, wie das, was es zur Schau stellt und behauptet. Im Implikat unterscheiden sich, wie ich ausführen werde, Ansteckung sowie Gabe, die zugunsten ihrer Virulenz nicht in Erscheinung treten dürfen, von jener der Magie entlehnten Logik des Performativen, in der es zur Deckung von Thematisiertem und Bewirktem kommen soll.




Simulation – Parallelwelten. Aufbau, Intervention, Mediation
Martina Merz

Schlagwort "Simulation". In Wissenschaft und Technik weit verbreitet, verheißt Simulation eine Realitätsvervielfältigung, die natürliche oder technische Abläufe in virtuellen Räumen imaginierbar, manipulierbar und vorhersehbar macht. Simulation schafft kontrollierte Parallelwelten. In ihnen erscheint Zukunft als rational planbar und kostengünstig optimierbar, Vergangenheit wird einem besseren Verständnis zugänglich. Handlungsspielräume werden neu ausgelotet, Möglichkeiten und Begrenzungen aufgezeigt. In ihrem Potential der Parallelweltkonstruktion findet Simulation kaum anderswo ähnlich vielseitigen und umfassenden Einsatz wie in der Elementarteilchenphysik. Wie Simulation dort konstruiert, interveniert und zwischen Welten vermittelt, ist Thema des geplanten Beitrags.




Ground Zero oder Am Anfang war der Affenmensch
Marion Herz

Im modellhaften Katastrophenszenario einer bioterroristischen Attacke treffen sich die Eingreiftrupps der Epidemiologie, Mikrobiologie und Kriminalistik auf dem Ground Zero einer infektiösen Urszene, in der sich die geraden Linien der menschlichen und tierischen Evolution kreuzen, die fundamentalsten Binarismen kollabieren, Anfang und Ende in einer Zeitschleife aufgehoben sind. Die biomedizinische Science-Fiction generiert sich selbst aus der geraden, gekreuzten und verschliffenen Suche nach dem Ursprung und setzt damit das paranoide Potential frei, von dem die Ursprungsfrage zwangsläufig begleitet wird.



Ratten Testen.
Wissenschaftliche und mediale Reproduktionsmodelle
Ulrike Bergermann

"The best model for a cat is another, or preferably the same cat", befanden Norbert Wiener und Arturo Rosenblueth 1945 Über die Rolle von Modellen für die Naturwissenschaften. Nachdem Modelle traditionell als Stellvertreter für das Referenzobjekt bestimmten Objektivitäts- und ähnlichkeitskriterien unterworfen waren, schafft spätestens die Gentechnik dieses Modell "Modell" ab, wo die Modelle nun selbst das ausführen, was vorher in der Übertragung auf andere untersucht werden sollte. Ein guter Experimentator "freely interchang[es] symbols and events" (Wiener/Rosenblueth) - und das geschieht seit den 1970er Jahren mit dem gene splicing. Damit scheint "der Bereich der Darstellungen verlassen": "Der Gentechnologe konstruiert informationstragende Moleküle gemäß einem extrazellulären Projekt und implantiert sie dann in eine zelluläre Umgebung. Der Organismus selbst setzt sie um, reproduziert sie und 'testet' ihre Eigenschaften. Damit nimmt der Organismus selbst insgesamt den Status eines locus technicus an - den Status eines Repräsentationsraumes" (Rheinberger 1999). Die Versuchstiere, die für diese Forschungen industriell hergestellt werden, sind quasi zur eigenen Spezies geworden, werden nur noch untereinander fortgepflanzt, vervielfältigen sich: eine eigene Reproduktionskette. Was als möglichst realistische Repräsentation fungieren soll, wird aufwendig hergestellt.

Das gilt laut Walter Benjamin auch für die technische Reproduktion des zu seiner Zeit realistischsten Abbildungsmediums, den Tonfilm. Benjamin hat das, was uns heute als schlichtes Abfilmen vorkommt, beschrieben als Eingriff. Und auch vom "Testen" ist hier die Rede. Die Filmdarstellung der Realität, so der berühmte "Kunstwerk"-Aufsatz, gewährt den appratfreien Aspekt der Realität erst durch die intensivste Durchdringung der Realität mit der Apparatur. "Der apparatfreie Aspekt der Realität ist hier zu Ihrem künstlichsten geworden und der Anblick der unmittelbaren Wirklichkeit zur Blauen Blume im Land der Technik." Damit hat die Kamera (wie ein "Chirurg") bereits in das Bild eingegriffen, das zu sehen sein wird, als hätte es den chirurgischen Griff nie gegeben. Kameraperspektive und Schnitt/Montage müssen weitgehend ignoriert werden, um den Film überhaupt wahrnehmen zu können - das Auge naturalisiert diese Techniken. Daß es (in nötiger Identifikation mit der Kamera) das zu Sehende "teste", indem es fortwährend "eine Stellungnahme abgäbe", scheint einen Aufschub einzuführen in die Automatik der erlernten Wahrnehmung. Aus der Geschichte der Modelle ist dieser Aufschub zunehmend verschwunden.

Dieser Blick mit einer unzeitgemäßen Begrifflichkeit aus der Zeit analoger Medien schärft unsere Wahrnehmung des genetischen "Bauwerks", in dem Bauplan und Bau zusammenfallen (Schrödinger), und gleichzeitig relativiert es diese Sonderstellung, wenn schon bei Benjamin die Grenze perforiert wird. Ein Vergleich des Schauspielers im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit mit der Maus im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit - das heißt, Äpfel mit Birnen zu vergleichen: Das Bild des Schauspielers mit der Maus 'selbst'. Genau aber das ist, was im gentechnologischen Labor stattfindet: die Grenze zwischen Repräsentation und Ding wird unklar. Das Eindringen vor dem Darstellen als Möglichkeitsbedingung des Dargestellten ist der analog-filmischen mit der genetischen Reproduktion gemeinsam. Mit dem Paradigma des Gens als Code ist das Eingreifen von der Voraussetzung des Bilds zur Voraussetzung des Laborlebens geworden. Der Vortrag untersucht diese epistemologische Verschiebung im Verhältnis von science und media studies.




[Zur Kritik neuer wissenschaftlicher Mythologien]
Human Genome Project, Open Source und techno-kapitalistische Metaphern
Katja Diefenbach

Am Rande der etablierten Wissenschaftsszene ist in den 60er Jahren das Theorem der Selbstorganisation von einem Forscherkreis geprägt worden, der am Biological Computer Laboratory an Fragen der Instabilität, Nichtlinearität und Komplexität zu arbeiten begonnen hatte. Mit der Zeit hat sich diese Vorstellung der Selbstorganisation mit der Konjunktur von Chaostheorie, SciFi und Computertheorie popularisiert. Eine Kette analoger Systembeschreibungen entstand, mit der Aktienmärkte, Straßenverkehr, Immunsysteme, Gehirne, Open Source-Programmierung, das Internet und das Genom gleichermaßen als dynamisch selbstorganisiert beschrieben wurden. Mit dieser Metaphernpolitik wurde die Figur der Freiheit enthistorisiert und entpolitisiert und in den abstrakten Universalismus einer selbstregulierten, nicht-hierarchischen technoiden Struktur neu eingeschrieben. Feministische Wissenschaftstheorie versucht, diese naturwissenschaftliche Metaphernpolitik ideologietheoretisch zu analysieren und die gegenseitige Konstituierung natur- und geisteswissenschaftlicher Diskurse zu zeigen (das Genom als späte Cogito-Vorstellung; die DNA als aktive Instanz, das Zytoplasma als das davon abgespaltene Andere der Passivität).Die Suche nach dem ideologischen Epizentrum verweist auf ein leere Stelle. Die Produktion technowissenschaftlicher Metaphern findet an verschiedenen Orten und in verschiedenen Kontexten statt. Sie verweisen in Richtung Strukturdeterminismus (das Genom als Zentralsteuerung des Lebens), Poststrukturalismus (nicht hierarchische, dezentrierte Komplexität des Immunsystems), Technooptimismus (Open Source führt in eine freie Gesellschaft), Technokapitalismus (der Markt als selbstregulierter systemischer Organismus, dessen Netzwerk mit Computernetzwerken konvergiert) usw.




Eingreifen. Allüberall. Queer als Modell der Intervention?
Sabine Hark

»Eingreifen« ist eine der meist flottierenden Vokabeln unserer Zeit. Wir reden von »Eingreiftruppen« in global erzeugten, lokalen »Krisenherden« ebenso wie von »Eingriffen« in die Keimbahn, die Menschenwürde oder die Schöpfung. Auf der »anderen« Seite behaupten (z. B.) »Anti-Globalisierungsbewegungen« Interventionen in die neoliberale Weltordnung ebenso wie verschiedene theoretische, politische und kulturelle Geschlechtersubkulturen die Intervention (durch Transgressionen) in hegemoniale heteronormative Geschlechterordnungen für sich reklamieren.
Queer bietet sich als Modell für diese Art Intervention, die Grenzziehungen zum Objekt machen, die nach dem »Prinzip heimlicher Ansteckung« funktionieren, geradezu an. Denn queer referiert auf das, was 'vom Normalen oder Gewöhn-lichen abweicht'. Es bezeichnet zugleich das Bekannte – insofern es dem Vertrauten, dem Normalen gegenüber gestellt ist und ihm eine feste homophobe Definition zugewiesen wird – und das Unbekannte – insofern die verschiedenen Bedeutungen von queer im Bereich des Dubiosen, Undurchsichtigen und Irreführenden angesiedelt sind. Insbesondere die, mit (Emile Durkheims Begriff) »anomischen«, norm-destabilisierenden, Elemente – seltsam, sonderbar, leicht verrückt, gefälscht, fragwürdig, jemanden irreführen, etwas verderben oder verpfuschen, Falschgeld – spielen hier eine besondere Rolle. Denn sie verweisen auf den spezifischen Einsatz queeren Denkens und Aktivismus': die Infragestellung und Zerbröselung jeglicher (naturalisierter) Normalität – »thorough resistance to regimes of the normal« – sowie bestimmter, für unsere Kulturen und sozialen Ordnungen relevanter Unterscheidungen, etwa wahr/falsch, natürlich/künstlich oder privat/öffentlich.
Der queere politische und theoretische Aktivismus operiert mit diesen »anomischen« Bedeutungen, nimmt die Positionierung am Rand der heteronormativen Kultur, als sonderbar und seltsam, als das Falschgeld zur offiziellen Währung geschlechtlicher und sexueller Repräsentationen an, und sucht von hier aus die dominante Ordnung von Geschlecht und Sexualität zu verpfuschen, und den Effekt des »Natürlichen« zu destruieren.
Doch wie steht es um das kritische Potential dieser Interventionen, wenn auch Eingreiftruppen und Viren ihr eigenes »border engineering« betreiben? Wo sind wir hineingeraten mit »unseren« Interventionen? Wenn Eingriffe in hegemoniale Ordnungen nur möglich sind, indem man in die Ordnung eintritt, sich imitierend und parodierend an den Diskurs des »Originalen« anhängt und versucht, in diesen alternative Bedeutungen einzuspeisen? Zwar erklärt diese Huckepack-Strategie, warum queere Praxen einerseits als Vehi-kel der Transgression gelten, sie aber andererseits das Gespenst herrschender Ideologie auf-rufen, das in den eigenen Praxen reproduziert zu werden scheint.
Queer bewegt sich mithin auf dünnem Eis. Sich huckepack an domi-nante Bedeutungen anzuhängen, heißt zunächst, daß man von den dominanten Bedeu-tungen huckepack genommen wird, und diese Richtung, Gangart und Tempo bestimmen. Gefragt werden muß daher, wie durch die Pfropfung dominanter Bedeutungssysteme denaturalisierende Effekte entfaltet und queere Interventionen erzeugt werden können, die z. B. die hierarchische Dichotomie von hetero/homo im Moment ihrer bestätigenden Aufrufung auch zerbröselnd delegitimieren.



Viren visualisieren
Brigitte Weingart

Unbemerktes Einnisten, latente Anwesenheit, Subversion des Wirtsorganismus – das sind die zweifelhaften Fähigkeiten, die mit Viren assoziiert werden. Seine Eigenschaft, Informationsträger umzucodieren und durch diesen Sabotageakt den 'normalen' Funktionsablauf zu stören, hat dem Virus im populärwissenschaftlichen Jargon Attribute wie "Angreifer mit Tarnkappe", "unsichtbarer Eindringling" bzw. "unsichtbarer Killer", "raffinierte[r] Überlebenskünstler" oder – nach dem Vorbild der 'linken Bazille' – "niederträchtige Mikrobe" eingetragen. Wie aber werden diese Strategien, die das Virus nicht nur zum Forschungsobjekt, sondern auch zum Faszinosum machen, über den Bereich der Sprachbildlichkeit hinaus in 'materiale' Bilder übersetzt?
Der Vortrag wird sich mit der epistemologischen Bedeutung der Unterscheidung belebt/ unbelebt für die Wissenschaftsgeschichte des Virus als Gegenstand von Erkenntnis (inclusive und insbesondere von Sichtbarkeit) beschäftigen. Denn medienhistorisch ist hier nicht zuletzt interessant, daß diese Unterscheidung einerseits u.a. anhand von mikroskopischen Aufnahmen diskutiert wurde, andererseits der Status von Viren und das, was an ihnen gegen 'Leben' sprach (etwa ihre kristalline Struktur), die Entwicklung der bildgebenden Verfahren voranbrachte – angefangen mit dem Elektronenmikroskop bis hin zur aktuellen filmischen Visualisierung von Zellinvasionen. Viren waren die idealen Objekte für die Apparate, die sie bestimmbar machten – ob man sogar von gegenseitiger Hervorbringung sprechen möchte, wäre noch einmal zu fragen, wenn das Material entsprechend aufbereitet ist. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach der Kommentierung der Bilder. Dabei wird davon ausgegangen, daß auch wissenschaftliche Bilder nicht nur hochgradig konstruiert sind, sondern darüber hinaus in einem engen Interaktionsverhältnis zu Texten stehen (durch deren Vermittlung sie überhaupt erst 'zu sehen geben' bzw. lesbar gemacht werden). Denn nicht nur in den Populärwissenschaften sind es einschlägige Narrative (Kampf- und Detektivgeschichten z.B.), die steuern, was in den Bildern vermeintlich zu erkennen ist.




I am your Clitoris. Clitoris Design
Christina Goestl

www.clitoressa.net/clitoris



Von der Unmöglichkeit des Nicht-Eingreifens
Claudia Reiche

'Eingreifen' gilt traditionell als Opposition zu 'Beobachten'. Dies gilt für Verfahrensweisen im Dokumentarfilm oder auch für das naturwissenschaftliche Experiment. In diesen Beispielen ist 'Eingreifen' tendenziell als Verfälschung einer Aufzeichnung gedacht, sollte also vermieden werden.
'Eingreifen' – emphatisch modifiziert – gilt auch als Gegensatz zu 'Zuschauen', wobei dann dies 'Zuschauen' als passiv, schwach und herrschaftskonform abgewertet wird. "Wer wegschaut macht mit” lauten in diesem Sinne Botschaften auf Postern in öffentlichen Verkehrsmitteln, die Passagiere zum 'Eingreifen' bei frauen- und ausländerfeindlichen Übergriffen motivieren sollen. Und George W. Bush könne nicht passiv 'zuschauen' wie der Irak seine Waffenarsenale aufbaue, sondern müsse 'eingreifen', heißt es bei einigen Fürsprechern der gegenwärtigen US-amerikanschen präventiven Angiffspläne.
Sei nun 'Eingreifen' als interessegeleitete Verfälschung mit hinterlistiger oder bequemer 'Lüge' verknüpft oder als mutige Tat einer notwendigen Korrektur einer falschen Situation zum politisch und moralisch Richtigem gewertet, in beiden Fällen werden Geschlechterrollen in einer heterosexuellen Matrix wertend zugrundegelegt.
Jeweils kommt der weiblichen Seite dabei die diskrediiterte Alternative zu: sei sie nun zu manipulativ oder zu feige, allzu bereit ungehemmt einzugreifen oder zu gehemmt, zu zögernd.

Wie nun diese überdeterminierte Opposition von Beobachten/Eingreifen selbst in Frage gestellt und aufgelöst werden können, nämlich durch die Rückführung auf die geschlechtlichen Identitäten, soll an einigen Beispielen aus verschiedenen Kontexten entwickelt werden: Als Unmöglichkeit des Nicht-Eingreifens.



The Rumor-Files I
Andrea van der Straeten

Im Februar 02 ging eine Nachricht durch die Presseagenturen, die vor allem in Zeitungen im angelsächsischen Bereich eine Flut an empörten Artikeln auslöste:
Im Pentagon war als Reaktion auf die Zerstörung des WTC im September 01 ein sogenanntes "Office of Strategic Influence", kurz OSI gegründet worden, das - ausgerüstet mit einem Millionen-Dollar-Budget dazu dienen sollte, das Image der USA mittels gut plazierter, aber nicht zurückverfolgbarer oder verifizierbarer (Falsch-)Informationen zu verbessern. Als Ziel dieser Imagekampagne mittels eines Propagandainstrumentes, das gezielt mit der Streuung von Gerüchten arbeiten sollte, waren vorrangig islamische Staaten, doch auch die Verbündeten in der 'Koalition gegen den Terror' sollten davon nicht grundsätzlich ausgenommen sein.

Im März 02 berichten die gleichen Zeitungen von der Aufgabe dieses Planes: ein OSI werde es nicht geben. Die Bush-Administration und das Pentagon hätten die Pläne fallenlassen, da sie offenbar keinen Rückhalt in der amerikanischen Öffent-lichkeit habe.

1997 habe ich begonnen, über Wesen und Bedeutung des Gerüchtes an der Schnittstelle von Kunst und Gesellschaft zu arbeiten. Die Ergebnisse eines Teils der Recherche : Über Fehlinformationen, Viren, Gerüchte und andere Krankheitsbilder in kommunikativen Prozessen und frühe amerikanische Präventiv-und Heilungsmethoden - die Rumor-Clinics/ Gerüchte-Kliniken sind dem beigefügten Essay zu entnehmen, der in der aktuellen Ausgabe der 'springerin, Hefte für Gegenwartskunst' zu entnehmen sind.

Ein geplanter Vortrag im Rahmen des Symposions
Eingreifen, Viren, Modelle, Tricks, organisiert vom Frauen.Kultur.Labor thealit in Bremen soll einige Aspekte der Recherche in Chicago, ergänzt durch die aktuellen politischen und sozialen Veränderungen vermitteln.

In einem zweiten Teil des Vortrags möchte ich erneut der Frage nachgehen:
Inwieweit kann etwas so Ungreifbares und Ephemeres wie das Gerücht als Material im ästhetischen Prozess gesehen werden?
Wie kann eine künstlerische Position in einem, von Virenangst und Überwachungs-paranoia bestimmten Diskurs aussehen?




Viral sex and microfeminine becoming.
Luciana Parisi

The process of digitalisation is marked by an intimate alliance between science and culture. From digital media technologies – the Internet, mobile phones, virtual reality – to nanotechnology and genetic engineering – artificial life and cloning - the alliance between culture and science increasingly maps a new conception of the body and sex. As modes of connection and reproduction of information, these technologies have affected our cultural perception of the body and sex by challenging the Western distinction between organic and inorganic. My talk will revolve around the connection between bacterial sex and genetic engineered modes of connection and reproduction of information to argue for a model of femininity that is not based on the sex/gender naturally given or socially constructed identification. I will argue for an intensive continuum and variation of modes of sex and reproduction that produce a viral femininity mapping onto the most disparate connections. The challenge of the alliance between science and culture invites us to experiment with these non-representative modes of connection. I will argue that the incidence of bacterial sex – and bacterial warfare – in contemporary culture marks the emergence of a schizo-line between the rhizomatic sex of bacteria and its micropolitical implications for a new perception of femininity.




Eingriffe in Informationssysteme – Warum sind Computer so leicht infizierbar?
Karin Vosseberg

Wanzen, Würmer, Viren und so manch anderes Getier machen sich breit in unseren Computernetzen. Nicht erst mit dem 'I love you'-Virus ist deutlich geworden, dass jeder (private) Computer potentiel von außen angreifbar ist. Kaum hat sich ein Virus ausgebreitet und die Abwehrkräfte der Systeme wurden mobilisiert, mutieren die Viren und suchen neue Angriffspunkte. Computernetze sind komplexe Systeme, die sich im stetigen Wandel befinden und niemals fehlerfrei sind. Genau diese Fehler werden von Viren ausgenutzt. Hinzukommt die implementierte Mentalität offener Systeme: "es ist erlaubt, was nicht verboten wurde". BenutzerInnen müssen explizit Sicherheitsvorkehrungen treffen und Zugriffsmöglichkeiten einschränken. Im Vortrag wollen wir uns das Vorgehen von Computerviren und die zum Teil drastischen Folgen näher ansehen und der Frage nach gehen, ob es eine Schutzimpfung geben kann.




"Eintritt: 5 Bazillen!" Konzepte von Ansteckung in Bakteriologie, Literatur und Psychoanalyse
Elisabeth Strowick

In dem von Klabund gestalteten Davoser Faschingsplakat affiziert der Bazillus nicht nur den ökonomischen Diskurs, zudem stellt sich der Akt des Eintretens als infektiöses Geschehen dar. Die Metapher von Ansteckung als 'Eindringen', 'Eintritt' – die auch der Call des Laboratoriums zitiert – funktioniert hier gewissermaßen 'rückwärts' und macht den Eintritt zur Ansteckung. – Mein Vortrag geht unterschiedlichen Konzepten von Ansteckung in Bakteriologie, Psychoanalyse und Literatur in Hinsicht auf ihre epistemologischen Implikationen nach: Der Durchbruch der Bakteriologie bei der Erforschung von Infektionskrankheiten im letzten Drittel des 19. Jh. verbindet sich mit einer ätiologischen Neudefinition der Infektionskrankheiten und einer entsprechend veränderten Forschungsmethodik, die qua Isolation, Züchtung ("Reinkultur") und experimenteller Infektion den Krankheitserreger erbringt (sog. Kochsche Postulate). Auch Freuds Psychoanalyse befaßt sich mit Infektion: Im Kontext der Identifizierung (Massenpsychologie und Ich-Analyse) steht die "psychische Infektion" im Dienste des "Mitgefühls", d.h. der Begründung der sozialen Beziehung; in Totem und Tabu ist "Ansteckung" dem Verbot und der Übertretung gleichermaßen zueigen und damit das, was das prekäre Verhältnis beider markiert. Mit der Literatur des 19./Anfang 20. Jahrhunderts schließlich (Fontane, Klabund, Thomas Mann) erfährt Ansteckung eine poetologische Formulierung; Sprache wird – wie an Fontanes Mathilde Möhring, Klabunds Krankheit und Schreibbureau sowie Thomas Manns Der Tod in Venedig zu zeigen sein wird – als infektiöses Material inszeniert.
'Ansteckung' zeigt sich nicht nur als diskursiver Schnittpunkt von Medizin, Literatur und Psychoanalyse, in dem unterschiedliche Wissensformationen aufeinandertreffen, sondern ermöglicht auch die theoretische Bearbeitung diese interdiskursiv-infektiösen Transfers - allerdings sicher nicht, ohne zugleich in diesen einzugreifen.



Dokufiktion zum Symposium
Claudia Kapp

Tonausschnitt (mp3)


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