Zu dem Vortrag
dies ist mein Körper ...
dies ist meine Software

von ORLAN
zu lesen im
BREMER 10/97
war folgender Text von
Sofie Buchwald

Lebendige Bilder und künstliches Leben
    Der Operationssaal ist das Atelier

    "My body is my software" lautet das Credo der spektakulären Künstlerin Orlan, die mit den Mitteln der plastischen Chirurgie ein Selbstporträt am eigenen Leib schuf und als lebendiges Kunstwerk gilt. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe 'Laboratorium' des Frauenkulturhauses Thealit kommt der umstrittene Star der Performance-Szene nach Bremen.

Foto: KARSTEN JOOST Foto: KARSTEN JOOST

Unter dem Titel 'Künstliches Leben: //Mediengeschichten' werden an verschiedenen Veranstaltungsorten künstlerische und wissenschaftliche Positionen vorgestellt, diskutiert und in Korrespondenz zueinander gebracht.

Die geladene Performance - Künstlerin Orlan bietet dabei nichts für zartbesaitete Kunstgemüter. Die Französin legte sich bereits neun Mal in künstlerischer Absicht unters Skalpell, um die völlige Transformation jenes Körperteils zu erlangen, das man am ehesten mit der Identifikation einer Person in Verbindung bringt: das Gesicht. Das Operationsszenario verwandelt sich hierbei in eine Performance: Die jeweils nur örtlich betäubte Künstlerin trägt Texte vor. Das Chirurgenteam hüllt sich in Haute Couture von Modeschöpfern wie Paco Rabanne oder Issey Miyake. Der Operationssaal wird geschmückt, und Tanzdarbietungen verleihen dem Ganzen einen rituellen Charakter. Das glamouröse Spektakel täuscht aber nicht darüber hinweg, daß Orlan bei jeder Operation nicht nur bleibende Schäden, sondern auch ihr Leben riskiert.

Allein das Wissen um diese Tatsache ist selbst für hartgesottene Kunstkenner schwere Kost.

Dennoch hat sich Orlan mit ihren Videoaufzeichnungen und Live-Übertragungen der chirurgischen Eingriffe am eigenen Leib den Weg in exklusive Galerien und Kunstinstitutionen gebahnt. Der Fleischabfall, der bei diesen Operations-Performances anfällt, in Blut getränkte Mullbinden und Hautreste sind mittlerweile gefragte Exponate.

Während die ersten Operationen noch auf die Nachbildung eines Gesichts abzielten, das aus Teilen verschiedener Frauenbildnisse kunstgeschichtlicher und mythologischer Herkunft am Computer neu zusammengesetzt wurde, besteht das neueste Projekt Orlans darin, sich die Nase auf überdimensionale Größe umoperieren zulassen.

OPskizze

Die Vermutung, Orlan zelebriere hier mit vollem Körpereinsatz die Errungenschaften plastischer Chirugie, greift allerdings zu kurz. Tatsächlich entwendet Orlan den Schönheitsaposteln das Skalpell und benutzt es als künstlerisches Medium gegen die "Diktatur auferlegter Schönheitsstandards". Orlan entweiht das Tabu der Unantastbarkeit des Leibes und sprengt die Spielregeln ethischer Moralvorstellungen.

Mit einem integrierten 'Kunstfehler' in ihrem neuen Gesicht wirft sie nicht zuletzt die Frage auf, wie die Zukunft und der Stellenwert des Körpers im Zeitalter neuer Technologien und der Machbarkeit genetischer Manipulation aussieht: "Mein Körper ist zum Ort einer öffentlichen Debatte geworden, die diese für unsere Epoche entscheidende Frage aufwirft".

Am 18. Oktober wird die Französin sich selbst und unbearbeitetes Videomaterial des siebten chirurgischen Eingriffes ihrer Operationsperformances im Lichthaus präsentieren.

Eine Grenzgängerin ganz anderer Art und ebenfalls Gast des 'Laboratoriums' ist die Computer-Wissenschaftlerin Nadia Thalmann. Die Professorin gilt nicht nur als Pionierin, sondern auch als Koryphäe mit Weltniveau auf dem Gebiet der Herstellung sogenannter synthetischer Menschen und computergenerierter Filme.

Das populärste Projekt der Wissenschaftlerin heißt 'Marilyn' und ist die am Computer errechnete Simulation von Marilyn Monroe, die ihr Vorbild in Mimik und Bewegungsabläufen nahezu perfekt kopiert. Der Ehrgeiz Thalmanns richtet sich nun auf die Erschaffung virtueller Akteure, die sogar in der Lage sein werden, eingeschränkt autonom zu handeln und in direkte Kommunikation mit realen Menschen zu treten.
Daß die Grenzen zwischen Realität und Virtualität im digitalen Zeitalter immer diffuser werden, wird Nadia Thalmann am 22. Oktober in der Städtischen Galerie unter Beweis stellen und anhand einer Videopräsentation einen Einblick in die Zukunft gewähren.

SOFIE BUCHWALD

  L´ART CHARNEL
 
 CONFÉRENCE
 
  SOME PUBLICATIONS FROM ORLAN'S BIOGRAPHY
 
  ORLAN VIDEOGRAPHIÉ
 
 Kommentar von Ulrike Oudée Dünkelsbühler

 
  taz bremen 17.10.1997 (PRESSE)
 

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