Aus dem Reader
zu dem Vortrag
Crash der Untoten von Anja Overdiek
 
Rezension zu
David Cronenbergs Film
"Crash",
von Andreas Kilb
in der ZEIT 45/ 1996

Liebe ist nur ein Ford
Ein Film für Autisten und Mechaniker
von Andreas Kilb

Zwei Männer im Auto. Dazu eine Frau. James (James Spader) sitzt am Steuer, Vaughan (Elias Koteas) liegt mit Catherine (Deborah Unger) auf der Rückbank. Der Wagen fährt in die Waschanlage. Man hört das Kratzen, Saugen und Schlürfen der Bürsten auf dem Blech. Vaughan und Catherine haben sich ausgezogen. James stellt seinen Rückspiegel ein, um den beiden zuschauen zu können. Wasser prasselt auf die Scheiben. Das Paar beginnt zu stöhnen. Die Bürsten sausen über den glatten Lack. Eine triefende, naß glänzende Hand zuckt von hinten über die Sitzlehnen. Der Fahrer starrt. Die Bürsten brüllen. Die Rückbank schreit. 'Crash' heißt dieser Film. Jetzt weiß man, warum.

Eigentlich müßte der kanadische Regisseur David Cronenberg, geboren 1943, längst ein Klassiker des zeitgenössischen Kinos sein. Seit über zwanzig Jahren verfolgt er mit nie erlahmender Energie ein filmisches Projekt, das man in drei Worten zusammenfassen kann: Mutation, Deformation, Transformation. "Der Mensch ist etwas, das überwunden werden will", verkündete Friedrich Nietzsche. Viele fürchten diesen Satz. Cronenberg glaubt daran. Er zeigt menschliche Körper als Parasitenherde ('Die Brut'), fleischgewordene Videorecorder ('Videodrome') und telepathische Killerautomaten ('Scanners'). Er erzählt von Insektenmenschen ('Die Fliege'), komplementär gestrickten Zwillingen, die ohne einander nicht leben können ('Die Unzertrennlichen') und Mädchen mit der düsteren Gabe des zweiten Gesichts ( 'Dead Zone'). Er ergründet literarische ('Naked Lunch') und sexuelle Aberrationen ('M. Butterfly'). Er entwirft Parallelwelten, in denen die Materie zur Maske des Unwirklichen wird. "Es lebe das neue Fleisch!", ruft die Hauptfigur in 'Scanners', und Cronenberg. dessen Bilder schon immer auf der Höhe seiner Ideen waren, demonstriert von Mal zu Mal, von Film zu Film virtuoser und effizienter, wie dieses Fleisch aussehen könnte.

Cronenbergs Welt ist kein Budenzauber. Sie ist der Zwilling unseres Alltags. Die Visionen des Kanadiers liegen am Rand des technisch und menschlich Machbaren. Morgen wird dieser Rand überschritten sein. Cronenberg ist ein Realist der Zukunft - und der Schauder, den seine Filme auslösen bloß ein Vorgefühl dessen, was uns erwartet. Kann sein, daß es noch schlimmer kommt.

Trotz alledem ist David Cronenberg ein Regisseur der kleinen Kino-Kollektive geblieben, ein Mann der Happy-few. Der Heiligenschein des Kultfilmers hat ihn so wenig gestreift wie die Aura des kommerziellen Erfolgs. Das liegt nicht an der Borniertheit des Publikums, sondern an Cronenberg selbst. Denn der Prophet der technologischen Verwandlung des Menschengeschlechts betrachtet die Abenteuer seiner Filme mit einer Ungerührtheit, die ans Unmenschliche grenzt. Für die Zuckungen des Innenlebens, für die Leiden der Kreatur hat Cronenberg, dessen Kamera-Auge sonst jedes Zittern der Epidermis gierig einsaugt, kein Organ. Sein Blick bleibt kalt. Zu kalt für Hollywood, zu kalt aber auch für ein Kino, das seine Menschenbilder jenseits der industriellen Stereotypen sucht. Im gewohnten Gebüfe von Autoren und Industriefilmern hat Cronenberg keinen Platz. Seine Handschrift, wenn es sie gibt, steckt gerade in der unpersönlichen Glätte, mit der seine Visionen über die Leinwand laufen. Seine Phantasie ist eine Industrie für sich.

'Crash', Cronenbergs zwölfter Spielfilm, ist die Geschichte eines Frontalzusammenstoßes. James Ballard kramt in seinem Auto nach Nacktphotos, während er mit der linken Hand das Lenkrad hält. Sein Wagen gerät auf die Gegenfahrbahn, es kracht, ein Körper fliegt durch Ballards Windschutzscheibe. Gegenüber, im anderen Auto, sitzt eine Frau (Holly Hunter) und starrt Ballard an. Dann entblößt sie ihre Brust. Blut und Hirn ihres getöteten Beifahrers tropfen auf Ballards Sitz, während er auf den Körper der Frau starrt. Es ist, als hätte die vernichtende Energie des crash eine Kettenreaktion entfesselt, von der nicht nur die Hüllen der Fahrzeuge, sondern auch die Seelen ihrer Insassen verschlungen werden.

Diese Entfesselung ist Cronenbergs Thema. Die physischen Verkleidungen und Armaturen, welche die Individuen für gewöhnlich davon abhalten, ohne Pause übereinander herzufallen, werden in 'Crash' ebenso zerschmettert wie die Karosserien der unaufhörlich zusammenkrachenden Autos. Bald sieht man Bailard, der mit seiner Frau Catherine schon lange keine Höhepunkte mehr erlebt, in einer Flughafengarage mit seinem Unfallopfer Helen kopulieren, eingeklemmt zwischen den Polstern und Gestängen seines Wagens, in einer Umarmung schweißtreibenster Art. Dann betritt der finstere Vaughan die Szene, ein Krankenhausphotograph, dessen Freizeitvergnügen darin besteht, die Verkehrstodesarten berühmter Filmschauspieler lebensecht nachzuinszenieren - James Deans Genickbruch auf dem Highway, Jane Mansfields Enthauptung auf dem Beifahrersitz ihres Autos: "Mein nächstes Projekt." Der blasse, blonde Ballard und seine noch blassere, noch blondere Frau geraten in den Bann dieser "Projekte" und ihres Urhebers Vaughans schwerer, von Unfallnarben übersäter Körper wird zum Objekt ihrer erotischen Phantasien. Sie träumen von Vergewaltigungen, von Wunden, Rissen, zerfetzter Haut. Und sie bekommen sie.

Denn nicht der Verkehr, im sexuellen wie im automobilen Sinn, ist das Ziel des Spiels, von dem 'Crash' erzählt, sondern die Verletzung. Das Netz aus Haut und Stoff und Blech, in dem Cronenbergs Figuren gefangen sind, ist so dicht, daß nur noch rohe Gewalt die unterdrückten Triebe aus ihrer Einzelhaft befreien kann. Erst wenn die Oberflächen platzen, bersten, reißen, wenn die Körper sich in Blut und Schweiß verströmen, können die Wünsche heraus. Das Auto, von Technikern erfunden, um die Bewegungsfreiheit des Menschen zu erhöhen, hat seinen Spielraum nur noch mehr eingeengt; es muß zerstört, verbogen, zur Lusthöhle transforrniert werden, um seiner Bestimmung wahrhaftig zu entsprechen. Deshalb sind in 'Crash' der Unfall und der Geschlechtsakt eins. Hinter beiden steht dieselbe Verschmelzungsphantasie: Körper zu Körper, Blech zu Blech. Als Vaughan mit Catherine flirten will, rammt er ihren Wagen. Vielleicht steckt die Wahrheit über den modernen Geschwindigkeitsrausch ja nicht im Tempo, sondern in der Sehnsucht nach dem Aufprall.

'Crash', der Film ist eine irritierende Mischung aus Tagtraum und Pamphlet, Obzönität und Spielerei, Intelligenz und Stumpfsinn. Schon nach zehn Minuten, nach dem ersten crash, hat man begriffen, worauf Cronenberg hinauswill. Was bleibt, sind Variationen des Immergleichen: Unfälle und Paare, Sex und Metall. Das Drama dieses Konzeptfilms ist, daß er keins hat. Der manische Einfallsreichtum, mit dem er immer neue Bilder von versehrten, versengten, zerissenen und kunstreich zusammengeflickten Körpern, von Schrott und Rennautos anhäuft, ist selbst wie eine Prothese für totes, erzählerisches Fleisch. Denn 'Crash' ist leider auch ein Buch, ein Roman des englischen Autors James Graharn Ballard, dessen Autobiographie 'Das Reich der Sonne' Steven Spielberg vor acht Jahren verfilmt hat. Anfang der siebziger Jahre, als Ballards 'Crash' im Gefolge von Burgess 'Clockwerk Orange' erschien, mag der Roman eine Entdeckung gewesen sein. Heute wirkt seine pornographisch aufgemotzte Zivilisationskritik so verstaubt wie das Underground-Kino jener Zeit. Cronenberg hat dieses Buch nicht ausgeschlachtet, sondern penibel bebildert. Sein Film spielt in Toronto statt in London, doch seine Figuren reden Ballards britisches Blech. Auch so kann man Menschen deformieren.

Am Ende, nach dem letzten Zusammenstoß, liegt das Ehepaar Ballard neben einem Autowrack im Gras. "Bist du verletzt?" - "Ich glaube nicht."- "Vielleicht beim nächsten Mal." Vielleicht in einem Film von Cronenberg. Denn der crash ist noch immer sein Projekt.

  Eine Art Jenseits
 
dazu mehr im Internet:
 
http://www.oculus.com/crash.html
 
http://www.filmscouts.com/films/crash.asp

| ABSTRACT | LIFE | PROGRAMM | REGISTER |