Andrea Sick

   

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Diese doppelbödige Konstellation, die immer wieder meine Ausführungen in Bewegung bringen werden, soll als theoretische Grundlage fungieren, mit der ich mich erneut kartographischen Schriften zuwenden möchte: Optische Apparate, Datenabtaster und Auswertverfahren exponieren ein Sichtbares, was z.B. das Muster eines absterbenden Fichtenwaldes wäre. Diese Prämissen oder Rahmenbedingungen der Exposition kommen aber im Gesichtsfeld, das heißt, im sichtbaren Sehen nicht vor. Man könnte sagen: sie bleiben ihm als Zäsur vorgängig.

Das sogenannte"Unsichtbare" wird also sichtbar durch verschiedene Aufnahmetechniken sowie die Auswertungsverfahren, wobei entscheidend ist, daß ausgehend von der heute zumeist vornehmlich digitalen Abtastung und Verarbeitung, deutlich werden kann, inwiefern eine klare Grenze zwischen Aufnahmesystem und Auswertung kaum zu treffen ist. Ausgehend von einer Analyse des digitalen Systems, welches die Bilder immer schon als Datenmaterial vorliegen hat, und so die Unterscheidung zwischen Aufnahme und Auswertung verschwinden läßt, können auch die analogen Verfahren von einer solchen Unterscheidung letztendlich absehen. Denn die Auswertung bzw. ihr Ziel bestimmen schon immer im Vorfeld die Aufnahmeverfahren, die Wahl des Ausschnitts, das Datum der Aufnahme, die Uhrzeit u.a. Die Sichtbarkeit stellt sich durch ein Wechselspiel von Aufnahmesystem und Auswertverfahren ein, die keine klaren Grenzen haben.Das Wechselspiel selbst ist im Sichtbaren nicht mehr zu sehen. Es tritt so nur als"mediale Zäsur" einer Vorgängigkeit hervor, die auch das Muster betrifft.[5] Von diesem Wirkungszusammenhang ist abhängig, was sichtbar wird und insofern auch, was als unsichtbar bezeichnet wird.

 

Muster wären so das, was zu exponieren ist. Sie müssen auf den Satellitenbildern sichtbar werden und können dann als Bilder, Zeichen und Worte im Rahmen der Auswertverfahren entziffert werden. Um sie sichtbar machen zu können, um sie letztendlich erkennen zu können, müssen sie identifiziert werden mit schon vorher erkannten Mustern. Dieser Prozeß kann als mediale Zäsur der Vorgängigkeit oder auch als Zäsur des technischen, was allerdings in seiner historischen singulären Instrumentierungen nicht aufgeht[6], verstanden werden. Ich will schon jetzt resümieren:  Die Auswertung von Satellitenbildern selbst trägt wieder zur Herstellung von Karten und Mustern bei, die schon dagewesen sind. Das eröffnet einen wechselwirksamen Kontext für die Kartographie und ermöglicht Verfahren wie die"Mustererkennung" (Pattern recognition) in Beziehung zu setzen mit Aufnahmetechniken und theoretischen Überlegungen zur Wechselwirkung von Sehen und Wissen, die das Scheitern einer Darstellbarkeit "wissenschaftlicher Evidenzen" markieren. Das Muster dient als theoretische Figur, die Vorgängigkeit des Medialen als Zäsur zu bezeichnen.

Anhand des Begriffs "Muster" soll der Vielschichtigkeit dieses Komplexes nachgegangen und der Rand des Sichtbaren gewissermaßen dargelegt werden. Dabei stehen die Begriffe "erkennen", "sichtbar" und "unsichtbar" – werden sie im Kontext informationswissenschaftlicher und wahrnehmungstheoretischer Diskurse gelesen - in engem Zusammenhang zu dem, was ich als das "Paradox des Musters" oder auch als die Doppelbewegung der Repräsentation (sich zeigen/verweisen)[7] bezeichne. Die immer medial[8] hergestellten wissenschaftlichen Evidenzen versuchen sich Gültigkeit zu verschaffen. Man könnte auch sagen, das Muster entfaltet in seiner Wirkungsweise Effekte an der "Grenze der Repräsentation". In dieser wird die Karte als Prozeß der Umwandlung (Dissipation) beschrieben sein. Das gilt sofern sie– wie ich annehme– auf die Prinzipien des Musters baut.

Zunächst soll das "Muster" als theoretische Folie hinsichtlich seiner sich in der Etymologie eröffnenden Bedeutung von "zeigen" und "sich zeigen" hergestellt werden. Von dort aus können sich dann Referenzen zwischen Karte und Muster herausstellen– als Kartenmuster an der "Grenze der Repräsentation", wie sich zeigen wird.

Muster kommt von lat. "monstrare", was soviel wie "zeigen" und "hinweisen"[9] heißt. Davon entlehnt ist das italienische "mostra" mit den Bedeutungen von "Zeigen", "Sehen lassen",[10] "Schaustellung", "Ausstellung"[11], "Probestück". [12]Zu dem lateinischen "monstrare" gesellt sich noch das altfranzösische "monstrare" mit der Bedeutung von "was vorgewiesen wird, Probe"[13]. Das Adjektiv "musterhaft" und das Verb "mustern" werden von dem "Muster" abgeleitet.

Deutlich wird an diesen etymologischen Zusammenhängen, daß das Muster "zeigt" und "hinweist". Das Muster läßt sich also sehen, bzw. zeigt sich. Es läßt sich sehen, wenn einzelne Motive kombiniert und wiederholt werden, zufällig oder absichtsvoll. Und zugleich verweist es auf etwas außerhalb (oberhalb)  seiner selbst.

Ein bestimmtes Muster weist auf etwas hin. Dieses "Hinweisen" könnte auch mit "repräsentieren" oder "anzeigen" übersetzt werden. Z. B. in der "Naturerkennung" weist das Muster eines Blattes auf einen bestimmten Baum, das Muster auf dem Rücken eines Käfers auf eine bestimmte Käferart, das Muster eines Steines auf eine Gesteinsart, das Muster der Wolken am Himmel auf die Wetterlage. Die verschiedenen Muster stehen hier in den Beispielen für Verortungen innerhalb eines Klassifikationssystems von Gattungen und Arten (Käferarten, Gesteinsarten, Wolkenarten bzw. Wetterlage), welches die "Natur" systematisieren will.

Während diese "Natur-Muster" alle auch mit bloßem Auge erkennbar sein können, können seit der Photographie und erst recht seit der digitalen Bildverarbeitung – vornehmlich eingesetzt in Produktionstechnik, für Umweltprognosen, in der  Medizin und beim Militär bestimmte spezifische Muster im Rahmen eines vielschichtigen Übersetzungsverfahrens erkannt werden: z.B. werden auf einem Satellitenbild ein tätiger Vulkan oder andere Umweltkatastrophen erkannt oder es können Musterungen auf einer Computertomographie oder einer Kernspintaufnahme auf einen Tumor oder andere organische Defekte hinweisen bzw. sichtbar gemacht werden.

Die Doppelbewegung des Musters: das "Sich Zeigen" (als spezifische Form und Reihenfolge) und das "Verweisen" (z.B. auf eine Umweltkatastrophe) wird von mir als  "Paradox des Musters" bezeichnet. Dies kann als Folie dienen, die Bedingungen der diskursiven Formationen, die ein Klassifikationssystem von Arten, Gattungen, Katastrophen und Defekten herstellt, offenzulegen. Oder auch anders formuliert: "die Beziehungen zwischen Serien zu beschreiben, um so Serien von Serien oder Tableaus zu konstituieren."[14]

 
 
     

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