Digital Eingetragenes Warenzeichen
Stichworttext zum Vortrag in Bremen am 1. November 1997
von Renate Lorenz

A zum Thema einer angeblichen gesellschaftlichen Veränderung durch technologisch erzeugte Bilder möchte ich kurz zwei wahre Geschichten vorstellen, die schon einiges von dem thematisieren, auf das ich nachher hinaus will:

   
    Ein Interview, dass gentechnikkritische Freunde von mir vor einigen Jahren mit dem in Zürich tätigen Gentechnologen Ingo Potrykus geführt haben, der gerade wieder Medienpopularität erhält, weil er transgenen Reis entwickelt und ihn als eine Art 'technologische Entwicklungshilfe' auf die Philippinen exportiert  hat. Meine Freunde hatten mit Potrykus vereinbart, dieses Gespräch mit einer Videokamera aufzuzeichnen. Als sie hinkamen, war aber bereits eine Videokamera aufgebaut und ein Kameramann anwesend. Auf ihre vehementen Nachfragen, was das soll, antwortete Potrykus, der im übrigen mögliche Gefahren der Gentechnologie generell abstreitet, er wolle nur sichergehen, denn heutzutage liessen sich Bilder ja beliebig manipulieren. Meine Freunde hatten im Anschluss heftige Diskussionen um den Begriff der Manipulation, den sie ihrerseits häufig im Zusammenhang mit Gentechnik benutzt hatten. Als sie nachher mit dem anderen Kameramann ins Gespräch kamen, erklärte ihnen dieser, er sei beauftragt, Aufnahmen für ein Video zum Thema 'Wie rede ich mit Gentechnik - GegnerInnen' herzustellen.

    Ich sehe diesen dreifachen begrifflichen Einsatz einer möglichen 'Manipulation', als einen Hinweis darauf, dass es auf die Perspektive ankommt, aus der ein solcher Begriff gesetzt wird.

   
    Ein Brief meiner Schwester, den ich vor kurzem erhalten habe und der mich für mehrere Stunden ausser Gefecht gesetzt hat. Er war schon von aussen auffällig, denn er trug die Briefmarke ' Im Jahr der Familie', was ich als eine ironische Anspielung meiner jüngeren, inzwischen verheirateten Schwester auf meine Kritik an den Institutionen Ehe und Familie verstand. Als ich den Brief öffnete, befand sich darin eine Kopie eines Ultraschallbildes. An den Rand gekritzelt war: 'Kopf = rechts, Herz = dunkler Punkt in Mitte' und ich wurde - in einer kurzen zweizeiligen Mitteilung - als Tante angesprochen. Was mich daran schockiert hat, war denke ich nicht meine Kritik an bildgebenden Verfahren der Pränataldiagnostik oder der Umstand dass sich meine Schwester überhaupt einer Ultraschalluntersuchung unterzogen hat. Es ist mir selbst nicht ganz klar geworden. Ich denke, dass mich einerseits der ironische und souveräne Umgang mit einer technizistischen Abbildung verblüfft hat, die hier ganz selbstverständlich in die Auseinandersetzung mit meiner Schwester um den Status der Familie eingebaut ist. Und dass mich andererseits erstaunt hat, welche Faktizität dieser Umgang mit einer Abbildung doch auf mich ausübt, obwohl es sich um ein Bild handelt, auf dem man eigentlich nichts erkennen kann, was die an den Rand gekritzelten Hinweise noch mal verdeutlichen.

 

B Zentralagent

Entsprechend der Fragestellung des Laboratoriums möchte ich damit beschäftigen, was es für eine gesellschaftliche Analyse bedeuten kann, wenn der "Computer" darin zum "Zentralagenten" wird.

Schon 1988 stellte der Soziologe Gerard Raulet in seinem Text ' Die neue Utopie - die soziologische und philosophische Bedeutung der neuen Kommunikationstechnologien' fest, die Technologien der Informationsübermittlung erzeugten eine "radikal neue Technokultur", sie bringe "schwebende Identitäten" mit sich und eine " Derealisierung... die jede Art von Ideologiekritik sinnlos zu machen scheine." Die Technik selbst würde an die Stelle der Ideologie treten. Da jede Darstellung auf dem Computer auf das bit als kleinste Darstellungseinheit zurückgehe, seien die Nachrichten "derealisiert", d.h. aus ihrem lokalen, sozialen Zusammenhang herausgenommen und  - er zitiert er Baudrillard - es komme zu einer "Ära der Simulacra", was den Verlust aller Bezugssysteme bedeute.

Was auffällt ist, wo der Autor (und andere AutorInnen mit ihm) das Technologische verortet und nach seinen Auswirkungen sucht: nämlich dort, wo die Daten angeblich materielos durch den Telefondraht gehen oder dort wo Zahlen oder Bilder auf einem Computermonitor angeblich ohne jeden Realitätsbezug sichtbar werden. Das ist meiner Meinung nach schon ein sehr stark ideologisches Modell von Technologie, dass sich die Behauptungen der Techno-Industrie hinsichtlich eines materiefreien, sauberen Funktionierens zur Voraussetzung macht.

Neben der Alltagsbeobachtung, dass Computergraphiken besonders dann als interessant gewertet werden, wenn sie möglichst photorealistische Darstellungen hervorbringen, lassen sich angesichts eines Computers ja durchaus weitere Referenzen aufmachen, die über ein Sichtbarmachen des Datendurchsatzes hinausgehen: z.B. auf die Ökonomie der Computerindustrie, auf die Rückenschmerzen beim Tippen, auf die Preise, die den Kauf eines Computers nicht für jede oder jeden möglich machen, darauf, wer eigentlich die meisten Tipparbeiten an einem solchen Computer erledigen wird, oder auf die giftigen Abbauprodukte, die bei seiner Verschrottung entstehen werden.

C  "Wir manipulieren Bildaussagen dank Photoshop..."

Ich möchte eine Ausstellung,  Versuchskaninchen - Bilder und andere 'Manipulationen', des Zürcher Museums für Gestaltung als Beispiel dafür diskutieren, welche Probleme es mit sich bringt, die Erforschung und Anwendung der Kommunikations- und Biotechnologien als Paradigmenwechsel, also als Ursache eines umfassenden gesellschaftlichen Umbruchs, zu setzen.
Die Ausstellung beschäftigt sich vor allem mit der Frage, wie die Möglichkeiten der Digitalisierung und die Anwendung der Gentechnik die Aussagekraft von Bildern verändern.

Mir geht es darum, diese Ausstellung aus einer feministischen Perspektive zu untersuchen, wobei bei ich allerdings nicht in erster Linie eine Untersuchung unter dem Gesichtspunkt der Geschlechtsspezifik machen möchte, sondern mich auf theoretische Ansätze einer feministischen Wissenschaftstheorie beziehe, die ihre Kritik besonders darauf richten, wie und von wem Wissen produziert wird.

DIA 1Totale

Ich möchte die Ausstellung unter dem Gesichtspunkt des besonderen Typs der Wissensproduktion untersuchen, d.h. welche Vorannahmen fliessen in die Argumentation ein, welche Aussagen wurden getroffen + welche Argumente werden dazu herangezogen.

Ich denke dass es für eine Politisierung des Umgangs mit Technologie neben einer Kritik der fortschreitenden industriellen Nutzung und des Profits der Mikroelektronik + Gentechnik notwendig ist, zu beobachten und daran zu arbeiten wie welches Wissen über Gentechnologie gesellschaftlich in Umlauf gebracht wird.

Was ich an der Zürcher Ausstellung interessant finde, ist, dass sich ihre Argumentation und ihre Mittel meiner Meinung nach genau auf die gesellschaftlichen Voraussetzungen stützen und diese auch mitherstellen, die eine Durchsetzung der Gen- und Biotechnologien fördern und ermöglichen: das ist vor allem + ganz entscheidend eine Auslöschung der sozialen Faktoren und eine Auslöschung der Differenzen. Die Ausstellung treibt damit etwas voran, was sie den Technologien unterschiebt: nämlich ein Schwierigerwerden von Erkenntnis- und Kritikfähigkeit.

Die Vorstellung, Technologie als ein Phänomen zu verstehen, das einen Umschlag in vielen oder sogar in allen Lebensbereichen herbeigeführt hat, haben wir in der informellen Gruppe, in der ich seit einigen Jahren zu diesem Thema arbeite, unter dem Stichwort 'Technikdeterminismus' diskutiert.

Das heisst, die Technologien selbst werden zum Verursacher und damit zum Subjekt gesellschaftlicher Veränderungen gemacht. Damit lassen sich historische und soziale Gründe dafür, dass diese Technologien überhaupt erfunden und eingesetzt wurden, nicht mehr benennen. Vor allem aber werden die Technologien und ihre Auswirkungen nach dieser Darstellung als gesellschaftlicher Zustand gesetzt, nicht als eine umkämpfte Investition - etwa auch eine Investition der Industrie - gegen die Widerstand noch möglich ist.
Technikdeterminismus gibt es auch positiv: wenn etwa mehr Kommunikation, mehr Intelligenz usf. mit den neuen technischen Möglichkeiten verbunden wird.

Die Vorstellung, Sehen würde sich dadurch verändern, dass eine gesicherte Verbindung zwischen Gegenstand und Repräsentation nicht mehr gegeben ist, stützt sich ausserdem auf eine moderne Vorstellung von Sehen als Erkenntnismöglichkeit: als hätte sich quasi vor der Zeitrechnung der Digitalisierung Erkenntnis umstandslos aus dem Sehen von Bildern ableiten lassen und jetzt sei diese direkte Weise der Wissensproduktion gestört oder unmöglich geworden.

Ich habe diese Ausstellung auch deswegen als Beispiel ausgesucht, weil das MfG in Zürich einer der wenigen Orte ist, die sich mit der kulturellen Konstruktion von Themen wie 'Sicherheit', 'Universalismus/Globalität', oder Gentechnologie überhaupt beschäftigen.

Die unterschiedlichen Ausstellungsexponate und der dazu veröffentlichte Text sind insgesamt sehr widersprüchlich. Ich werde mich daher vor allem auf Teile der Ausstellung und auf die Aussagen beziehen, die von den AustellungsmacherInnen als Kernthesen dargestellt wurden.

Die Ausstellung 'Versuchskaninchen - Bilder und andere Manipulationen' fand im Febr./März letzten Jahres im Zürcher Museum für Gestaltung statt. Erika Keil und Werner Oeder haben sie kuratiert.

Die Ausstellung wertet die Möglichkeit der Digitalisierung einerseits als eine durchschlagende Veränderung hinsichtlich der Wahrnehmung von Bildern; andererseits stellt sie aber auch eine historische Kontinuität her (z.B. ältere Formen der Fälschung). "Ausstellung und Katalog", so heisst es in einem Begleittext, der in der Ausstellung auslag, "stellen die Frage nach der medialen Kompetenz von Bildern. Können sie ihre Aussage offenlegen, ihre Herkunft mitreflektieren oder gehört der Zweifel zum Konzept?"
In Begleittext und im Katalog beziehen sich die AusstellungsmacherInnen auf das bekannte Zitat von Brecht, das Abbild einer Fabrik lasse nicht auf die Produktionsbedingungen in dieser Fabrik schliessen. Als Beispiele für die Präsentation ausgewählt wurden"durchweg gefundene und im Gebrauch befindliche Abbildungen von Tieren (sei es als Postkarte, Werbeplakat, Laborergebnis, künstlerische Arbeit)".
   

zu DIA 1 (Relax)
 
Dackel Bilder aus einer Werbekampagne der Zürich Versicherungen 'Relax', die in der Schweiz sehr populär war:
Es gab verschiedene Plakatmotive, sowie Fernsehspots: z.B. sieht man Füchse, die auf einige Hühner zusteuern, die Hühner fliegen hysterisch in die Höhe, bis auf eins, das ruhig weiterpickt.
Es erscheint der Text 'Relax'). In der Ausstellung fanden sich mehrere grossformatige Werbeplakate, sowie auch die Videospots. Die wiedergegebene Auseinandersetzung bei diesen Darstellungen drehte sich vor allem darum, dass es Kritik von TierschützerInnen daran gab, dass den Tieren in den Spots offensichtlich Angst eingejagt wurde. Tatsächlich sei es aber so gewesen, dass die Spots anhand nur weniger Aufnahmen der entsprechenden Tiere, computertechnisch erzeugt wurden.

    DIA 2 (Lachse + Relax)
 
Lachse Ausserdem gab es einige Bilder der SAG - der gentechnikkritischen Schweizerischen Arbeitsgruppe Gentechnologie, z.B. eine Abbildung von Lachsen, denen ein Gen für ein menschliches Wachstumshormon übertragen wurde. Man sehe diesen Lachsen den gentechnischen Zugriff nicht an, nur der beigefügte Text gebe einen Hinweis auf den Bildinhalt, ein solches Bild, so suggeriert wiederum der Begleittext, könnte auch eine Fälschung sein.
Die hier benutzten Bilder werden von der SAG etwa für Postwurfsendungen ihrer Genschutz-Kampagne verwendet, durch die per Volksabstimmung eine Verschärfung der Gentechnik-Gesetzgebung in der Schweiz erreicht werden soll.
Ausserdem + daneben findet sich in der Ausstellung eine Abbildung des spektakulären gentechnischen Versuchs, der von Walther Gehring in Basel geleitet wurde, dessen Team die Entwicklung zusätzlicher Augen bei Drosophila Fliegen ausgelöst hatte
(z.B. Fliege mit Auge am Bein / Abb. aus Katalog).
Die Ausstellung sammelt Belege dafür, dass Bilder mit unterschiedlicher Entstehungsgeschichte sich ähneln. Um das zu verdeutlichen, sind die Darstellungen auch oft paarweise angeordnet:

    DIA 3 (Maus + Werbeplakat)
 
Maus
z.B. eine Werbung für die Zeitung 'Weltwoche', die mit der computertechnisch erzeugten Bildmontage von Schweinen mit je einem menschlichen Ohr auf dem Rücken auf die allgemeine Brisanz ihrer Themen aufmerksam machen möchte, hängt unweit des Präparats einer Maus mit menschlichem Ohr,
    DIA 4 (Maus, nah)
das wiederum die Nachbildung eines Versuchstiers ist. Bei diesem Experiment wurden einige Zellen auf den Rücken einer Maus transplantiert, aus denen dann ein Ohr heranwuchs.Maus

Die Werbung der Weltwoche oder die Abbildungen der SAG sind in der Zürcher Ausstellung etwa auf das Format eines Relax-Werbeplakates hochkopiert worden, so dass auch auf dieser Ebene eine Ähnlichkeit hergestellt wird. Es ist z.B. nicht mehr zu erkennen, welchem Medium diese Abbildungen entnommen wurden.
Während Brecht aus seiner Feststellung heraus, die Fotografie einer Fabrik sage nichts über die Produktionsbedingungen in dieser Fabrik aus, eine Kritik an der Erkenntnismöglichkeit durch das Sehen von Bildern formuliert und implizit eine ökonomische und machttheoretische Analyse der Produktionsbedingungen fordert, belässt es die Ausstellung dabei, ihre These einer fehlenden Beweiskraft von Bildern zu bestätigen. Die Ausstellung formuliert dabei zweierlei: zum einen, dass es nicht zu entscheiden sei, ob eine Abbildung auf einen gentechnischen Eingriff oder eine computergraphische Veränderung zurückgeht; zum andern wird aber auch suggeriert, die Nichtsichtbarkeit eines gentechnischen Eingriffs und die Nichtsichtbarkeit einer computergraphisch vorgenommenen Veränderung - also z.B. die Lachse und die Versicherungskampagne - seien von ihrer gesellschaftlichen Bedeutung her vergleichbar.

Die Übertragungen der Funktionsweisen der Computertechnologie aber auch der ästhetischen Vorstellungen eines Umgangs mit dem Produkt Computer sind ein gängiges Motiv in der Gentechnologie und in der Medizin. Technologie im Consumerbereich wird mit Geschwindigkeit, Genauigkeit und teilnahmsloser Schmerzfreiheit assoziiert, einer Vorstellungswelt, die auch für die Gentechnologie in Anspruch genommen werden soll.
Zu Beginn der Beschäftigung der genannten informellen Gruppe mit Gentechnologie war uns ein Text von Bernhard Gill zum Metapherngebrauch in der Gentechnologie besonders aufgefallen, in dem er einen Zusammenhang zwischen der Etablierung des Doppelhelixmodells, also des Modells der DNS, und dem 'Sieg' der informationellen Metaphorik und ihrer dekuktiven Perspektive herstellte:  Der Gebrauch informationeller Metaphern hat dazu geführt, die Vorgänge im Zellinern in  Analogie zum Kopier-, Speicher- und Zeichenverarbeitungsautomaten, kurz: dem "Computer" zu begreifen. Etwa indem man davon spricht, dass der Stoffwechsel in den Genen  'programmiert' sei. Was liegt näher, als ihn mittels Gentechnik  umzuprogrammieren.
Der Gebrauch solcher Metaphern führt dazu, dass die Grenzen zwischen Analogie und Gegenstand zwar nicht erkenntnistheoretisch (ich bin kein Computer) aber immerhin praktisch (etwa in der Gentherapie) aufgehoben werden. (vgl. geld.beat.synthetik, S. 25)

Im Begleittext der Ausstellung werden Computer und Gentechnologie ebenfalls verglichen: anstatt dabei aber von Metaphern zu sprechen und die Bedeutung zu untersuchen, die durch eine solche Übertragung entsteht, wird behauptet, dass es sich um eine gleiche Methode handle: "Wir machen auch die Methoden, die für das eine gelten, für das andere tauglich. Wir scannen Bilder und wir scannen Körper. Wir manipulieren Bildaussagen dank Photoshop und manipulieren Lebensprozesse dank Gentechnologie." BesucherInnen können das in der Ausstellung auch selbst ausprobieren:

Totale DIA 5 (Computer hinter Lachsen)
 
es gibt einen Tisch mit einer Reihe von Computern mit einem Bildbearbeitungsprogramm,

DIA 6 (Computer mit Köpfen) mit dessen Hilfe BesucherInnen Veränderungen an Köpfen, z.B. dem von Jelzin, selbst in Angriff nehmen können. (Mir war zunächst nicht klar, warum in diesem Fall Köpfe verwandt wurden, für den Rest der Ausstellung aber Tiere das Beispiel sind: ComputerIch denke mir allerdings, dass der Reiz hier gerade darin liegt, das Bild von Jelzin eben zu verformen: wären es nicht-gegenständliche Figuren gewesen, oder selbst Tiere, hätte es kaum soviel Spass gemacht, diese zu strecken oder zu dehnen: - d.h. der Reiz der sog. 'Manipulation' liegt hier gerade nicht - wie suggeriert wird - in der Technologie begründet.)

Bei einer Führung sagte Erika Keil, eine der AusstellungsmacherInnen, der Grund dafür, in der Ausstellung wie auch im Katalog die unterschiedlichsten, teilweise einander widersprechenden, oft sehr unkritischen, theoretischen, politischen und künstlerischen Argumentationen unkommentiert nebeneinander zustellen, sei, Didaktik zu vermeiden, die auch durch die Vorgabe einer politischen Positionierung, z.B. pro oder kontra Gentechnologie, entstehe. Sie bezieht sich damit auf einen Informationsbegriff, der die Möglichkeit einer neutralen, d.h. also politisch neutralen, Information vorsieht und darüber die Objektivität der Darstellung sicherstellen möchte.
Und das ist ein explizit technizistischer Informationsbegriff, durch den Vorstellungen wie die einer materiefreien Kommunikation am Computer oder die des sog. 'genetischen Codes' sich überhaupt etablieren können.

Ich möchte einige Überlegungen wiedergeben, wie die wahrnehmungstheoretische und gleichzeitig positivistische Herangehensweise der Ausstellung und ein solcher Informationsbegriff zusammenhängen. Der Zweifel an der medialen Kompetenz von Bildern, suggeriert meiner Meinung nach, es könnte überhaupt 'Information' geben, die ohne sozialen Kontext auskommt + die unabhängig von ihrem oder ihrer jeweiligen EmpfängerIn funktioniert.

Ein oberflächlicher Blick in die Ausstellung genügt, um zu sehen, dass zwar Informationen gegeben, aber auch gleichzeitig Informationen vorenthalten werden: so erfahre ich nicht, ob die Werbekampagne den Umsatz der Zürich Versicherungen zu steigern vermochte, ich finde keine Theorie darüber vor, ob die Fliegen im Versuch von Walther Gehring mit den neuen Augen sehen können. Zu dem beschriebenen Präparat der Maus mit dem Ohr wird nicht etwa der Versuch geschildert und diskutiert, die entsprechenden Zellen zu transplantieren. Sondern es werden Informationen darüber gegeben, wie schwierig die Herstellung des Präparats und das Aufbringen des weissen Puders auf dieses Exponat waren. Eine Information darüber, ob diese Texte entweder von dem Präparator oder von den AusstellungsmacherInnen selbst ausgewählt und verfasst wurden, findet sich in der Ausstellung nicht.

Ein weiteres Beispiel:
Die SAG benutzte in ihrer Kampagne gegen die Patentierung der sog. Krebsmaus, eine Abbildung (vgl. Katalog), von der es in der Ausstellung heisst, es handele sich 1. nicht wie angegeben um eine Maus, sondern um eine Ratte (da lügt also der Text und nicht das Bild) und 2. könne man diesem Tier nicht ansehen, dass es 'krebskrank' geboren sei (was im übrigen nicht stimmt, denn diese Mäuse sollen die Anlage erhalten, früh und zuverlässig Krebs zu entwickeln, sie werden aber nicht damit geboren). Darüber dass das angeblich entscheidende, nämlich die Krebserkrankung, nicht sichtbar sei, wird aber die Frage ausgeblendet, ob das Entscheidende gerade dieser Darstellung nicht woanders liegen könnte: z.B. dass es wichtig war, im Zusammenhang mit der Kritik an der Patentierung von Tieren gerade die Warenförmigkeit des Tieres in der Darstellung hervorzuheben.

Indem die 'Versuchskaninchen' - Ausstellung Materialien brainstormartig zusammenstellt und die allgemeine Frage nach den Möglichkeiten "unserer" Wahrnehmung von "Bildern" formuliert, entkontextualisiert sie meiner Meinung nach die gewählten Bilder und nimmt sie aus ihrem historischen und sozialen Zusammenhang heraus. Ich denke also, dass der Umgang der AustellungsmacherInnen mit dem gefundenen Material genau das hervorruft, was sie als Ergebnis eines Lebens in einem digitalen Zeitalter konstatieren.

Indem sie weder deutlich machen, woher die Bilder und Texte stammen, die sie benutzen, noch ihre eigene Perspektive oder ihre Adressaten thematisieren, stellen sie zudem auch gleiche Darstellungs- und Wahrnehmungsmöglichkeiten für alle Subjekte in Aussicht. Der Umstand, dass die Zürich Versicherungen/ Relax  ihre' Darstellung in der Ausstellung mit einer Ausstellungsförderung von 10.000 SFr unterstreichen konnte, macht sie jedoch meiner Meinung nach zu besonde-ren Subjekten.

Die Vorstellung einer politisch neutralen Darstellung, die durch das unkommentierte Zusammenbringen verschiedener Positionen entsteht, suggeriert immer einen gesellschaftlichen 'Dialog'. Als seien die Gegenstände in Diskussion und es sei unklar und von ethischen Erwägungen abhängig, wie diese Diskussion ausgehe. Die Verteilung von Kapital z.B. wird dabei nicht berücksichtigt. Zudem macht es einen Unterschied, wer aus welcher Perspektive Gegenstände betrachtet: In der Textbeilage heisst es, "unser Gehirn" assoziiere "ein junges, treuherzig und unschuldig blickendes Kalb ungern mit Bratwurst." Wenn dieses Gehirn aber, denke ich, zu einer TierschützerIn gehört, könnte das die Weise sein, in der er oder sie Schlachttiere bevorzugt anguckt.

Diskursanalytische Verfahren haben ja das Brecht-Zitat dahingehend erweitert, dass es zwar nicht ausreicht, mit dem Foto einer Fabrik etwas über 'die Fabrik' aussagen zu wollen, dass es aber durchaus nicht zufällig ist, wie das Gebäude einer Fabrik aussieht, wie die Arbeit dort dargestellt wird und welche Repräsentationen, Rhetoriken oder Argumentationsketten ökonomische Verhältnisse jeweils beschreiben oder unsichtbar machen. Die Vorstellung einer Trennung von Repräsentation und wahrem Kern - und das ist mein zentraler Einwand gegen die Ausstellung - verführt dazu, zu vergessen, dass auch die angenommene 'Wahrheit' eines Sachverhaltes Ergebnis einer machtpolitischen und interessengeleiteten Intervention ist. Und sie steht damit allen feministischen Versuchen entgegen, die Herstellung von Wissen unter Gesichtspunkten wie Geschlechtsspezifik, wissenschaftlicher Konkurrenz oder industriellen Interessen zu betrachten. Dass die Mittel und Methoden der Ausstellung als 'neutral' betrachtet werden, führt auch dazu, dass sie Rhetoriken reproduziert, wie sie üblicherweise auch von der Gentechlobby benutzt werden. So ist die Analogiebildung zum Computer in populären aber auch wissenschaftlichen Darstellungen von Gentechnik ein oft gewähltes Mittel, das einerseits deren Machbarkeit behauptet (so schreibt auch die beteiligte Künstlerin Caroline Dlugos: "Die Gentechnologie ist inzwischen so weit, dass sie einen Gentext entziffern und umschreiben kann.") und andererseits den entsprechenden wirtschaftlichen Erfolg auch für die Gentechnologie in Aussicht stellt. Der Diskurs um Original und Fälschung/bzw. Original und Manipulation geht davon aus, dass die fälschende Person ihre Manipulation buchstäblich 'in der Hand' hat, als wären ihr diese von ihr ausgelösten Handlungen vollständig präsent.
Sie unterschlägt ausserdem die unterschiedlichen Umstände und Vorgehensweisen bei solchen 'Manipulationen'. Dass der/die BesucherIn am Computer selbst ausprobieren kann, wieviel Spass 'Manipulation' macht, individualisiert auch die zum Vergleich angebotenen Vorgänge der Gentechnologie. Sie erscheinen damit als natürlich und werden entpolitisiert ("so ist der Mensch"). Sie werden zu einem menschlichen Laster verharmlost. Das einfache 'Sammeln' verschiedener Gegenstände und Positionen ist also auch deswegen nicht politisch neutral, weil sich darin die gesellschaftlich wirksamsten Muster reproduzieren.

Die Schlüsselfrage der Ausstellung nach der 'Sichtbarkeit' wird durch die Auswahl der Bilder mit einem Diskurs von 'Norm' und 'Abweichung' beantwortet: Unsichtbar ist ein Vorgang, wenn der Bildgegenstand 'normal' aussieht (wie die Lachse); sichtbar ist er, wenn eine 'Abweichung' feststellbar ist wie bei einem Präparat einer Ziege mit zwei Köpfen.
Im Begleittext heisst es dazu:

    "Der Schrecken liegt nicht mehr im Bereich des Sichtbaren. Einzig Ereignisse wie 'Tschernobyl' machen das Unsichtbare plötzlich sichtbar: Mehrköpfige Kälber, einbeinige Hühner, und Insekten mit Flügeln, die niemals fliegen können."
Eine solche Argumentation mit 'Abweichungen' von der Norm, ist in der Geschichte der AKW-Kritik von VertreterInnen der Behindertenbewegungen scharf angegriffen und später auch im Verhältnis zum normierenden Zugriff der Pränataldiagnostik kritisch beurteilt worden. AKW-GegnerInnen hatten mit der Angst vor Behinderung Politik gemacht, eine Vorgehensweise die von Personen, deren Politik gerade darin besteht, ihre Behinderung entgegen der gesellschaftlichen Normen nicht als Krankheit sondern als gleichwertige Existenzform darstellen zu können, als Affront verstanden werden muss.

Darin zeigt sich, wie leicht eine Darstellung - selbst wenn ihre Motive sozusagen 'politisch korrekt' sind - Komplizenschaft mit den öffentlich wirksamen Diskursen eingeht. Um ein konretes Ziel - die Abschaffung von AKWs - zu erreichen bedienten sich die AKW-GegnerInnen kultureller Machtstrategien, die Deutungen gegen andere Deutungen ins Spiel zu bringen versuchten. Ein gesellschaftlicher Erfolg dieser Strategien kann dann aber neue Machtverhältnisse herstellen (in diesem Fall gegenüber denjenigen, die als 'behindert' abgewertet werden). Es gibt also also nicht die einfache Deklarierung einer 'richtigen' oder 'falschen' Darstellung.

Um die Dichotomie zwischen Objektivismus und Relativismus zu vermeiden, halten feministische WissenschaftskritikerInnen wie Donna Haraway oder Sandra Harding für die feministische Wissenschaft am Begriff wissenschaftlicher Objektivität fest. Sie bezeichnen die als universal kritisierte Objektivität der gesellschaftlich dominierenden Wissenschaft als 'schwache' und fordern demgegenüber eine 'strenge' Objektivität, die Wissen als - historisch und sozial - 'situiertes' produziert. Dieses Verständnis von Objektivität lässt die gebräuchliche Gegenüberstellung von Voreingenommenheit auf der einen und Objektivität auf der anderen Seite nicht zu, weil gerade aufgrund der Voreingenommenheit und ihrer Deklarierung Objektivität entsteht. So ist der Konflikt der AKW-KritikerInnen mit der Behinderten - oder Krüppelbewegung nur über die verschiedenen Darstellungsinteressen zu verstehen. Eine sinnvolle Auseinandersetzung kann nur dann geführt werden, wenn die jeweilige unterschiedliche politische Perspektive, die zu diesen Darstellungen geführt hat, als solche deutlich gemacht wird.

Der die Ausstellung begleitende Text kommt zu der emphatischen Aussage:
"Natur ist Kultur" (aber was ist Kultur?) + das gibt den Ansatz der Ausstellung besonders gut wieder. Aus dem Zweifel an der Beweiskraft des (zuvor entkontextualisierten) Bildes ensteht eine Relativismus: die Überzeugung, alles sei konstruiert, ergibt aber nur dann einen Sinn, wenn die jeweils unterschiedlichen Konstruktionsbedingungen genannt werden.
Die Definition von 'Sichtbarkeit' z.B. ist selbst Teil machtbesetzter Diskurse:
Sichtbarmachen im Sinne von Brecht könnte dann z.B. heissen, dass nicht versucht würde, zu gucken ob sich das Aussehen der Lachse verändert hat, sondern etwa die ökonomischen Bezie-hungen der Konzerne sichtbar zu machen, die daran verdienen, der Wissenschaftler, die sich im konkurrenten Verhältnis zu den Kollegen durchsetzen und sich durch eine Veröffentlichung profilieren usf.
Relativismus ist nur die andere Seite der Medaille: wie der wissenschaftliche Objektivismus gibt er vor, universal und apolitisch zu sein.

Renate Lorenz
renate@berlin.snafu.de

 

 ABWERTEN  (bio)technologischer Annahmen
 Flyer  GAME GIRRRL, Zürich + München 1994

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