Anja Krämer

   

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Vortagstext

 
 
       
 

Anläßlich der Veranstaltungen zum Kulturstadtjahr Weimar 99 entstanden im Park an der Ilm, nur etwa 100 Meter vom originalen Gebäude entfernt, eine 1:1-Kopie des Gartenhauses und in der Orangerie des Schlosse Belvedere eine als virtuelles Gartenhaus bezeichnete Computersimulation. Anders als in Danzig und Mainz wurde in Weimar durch die Kopie und Simulation eine bewußte, absichtsvolle Serie hergestellt. Es lassen sich drei Motive für die Vervielfachung nennen: Der Nachbau wurde als Schutzkopie für dasOriginal benötigt. Die Vervielfachung ließ sich als Event bestens vermarkten. Schließlich sollte die unmittelbare Nachbarschaft von Kopie und Original verunsichern und Gedanken über den Themenkreis Authentizität, Aura und Reproduktion auslösen.

 Das Ziel der Vermarktung wurde in jedem Fall erreicht. Herstellung und Enthüllung der 1:1-Kopie am 12. März1999 wurden als Event gefeiert. Die Baustelle hatte man mit dem Kulturstadtlogo, einem verschnürten Päckchen verkleidet, um die Spannung zu steigern und anläßlich der Enthüllungs-Feier sprach u.a. der als Fälscher der Hitlertagebücher bekanntgewordene Galerist Konrad Kujau.[27]

 

 Schon 1932 hatte es einen ersten Nachbau des Gartenhauses gegeben. Auf einem Postkartenfoto aus diesem Jahr ist die Aktion zweier arbeitsloserHandwerker festgehalten, die mit einem Goethe-Gartenhaus auf Rädern durchDeutschland zogen.[28] Für eine weitere Vervielfachung hatte der Architekt Paul Schmitthenner[29] gesorgt. Orientiert an Goethes Gartenhaus entwarf er einen Wohnhaustyp, bestehend aus einem einfachen, freistehenden Kubus mit Walmdach auf einem Gartengrundstück. Diese Hausform entwickelte sich in den dreißiger Jahren zum Idealhaus des deutschen Bürgertums und wurde vielfach kopiert.[30]

 Die Veranstaltungen zum Kulturstadtjahr 1999 führten zu einem neuen Reproduktionsboom. Es entstanden nicht nur die 1:1 Kopie und die Computersimulation in Weimar. Ein von Berufsschülern aus Jena gebautes

Modell des Gartenhauses im Maßstab 1:5 wurde von der "Weimar 1999 - Kulturstadt Europas GmbH" auf der ITB-Messe in Berlin gezeigt,[31] für 25 DM ließ sich ein Papiermodell des Hauses erwerben und an der Enthüllungsfeier nahmen als Gartenhaus verkleidete Personen teil. Dies alles erinnert an den Bismarckkult zu Beginn des Jahrhunderts, mit dem Unterschied,  daß die Spaß- und Erlebniskultur der neunziger Jahre keine ernsthafte Glorifizierung mehr betreibt.

 

 

 

 Inwieweit das Konzept der Schutzkopie in Weimar aufging, ist fraglich. Kopien im Maßstab 1:1 zum Schutz der Originale werden mittlerweile häufig angefertigt. Sehr verbreitet ist es z.B. Steinskulpturen an Kirchenfassaden oder Brunnen durch Kopien zu ersetzen und die Originale im Gebäudeinneren oder in Museen vor der Witterung geschützt aufzubewahren. Schon dieses Vorgehen ist in Denkmalpflegekreisen umstritten, denn es führt nicht selten dazu, daß die schadhaften und weniger "schönen" Originalteile an Beachtung verlieren und schließlich ganz verschwinden. Eine zweite Möglichkeit einer Schutzkopie bietet der Nachbau eines Gebäudes oder eines einzelnen Raumes. So sind die steinzeitlichen Höhlenmalereien von Lascaux, oder die weinfresken in Schmalkalden nur noch in der Kopie für Touristen zugänglich. Und auch in Pompei wird erwogen, eine begehbare Kopie zu errichten, die das Original vor zu starker Benutzung und Abnutzung bewahren soll.

 

 In Weimar waren sowohl das originale Gartenhaus als auch die Kopie für Besucher offen, wobei die Öffnungszeiten des Originals etwas eingeschränkt wurden. Im Hinblick auf die Schutzfunktion der Kopie hat das werbewirksam vermarktete Ereignis der Verdoppelung eher kontraproduktiv  gewirkt. Durch die Verdoppelung und Verdreifachung des Gartenhauses haben sich die Besucherzahlen vervielfacht. So wird das Original nun eventuell stärker belastet, als ohne Errichtung der Kopie.

 

 Auch mußte schon bald die Schutzkopie vor den Besuchern geschützt werden. Hatte man zur Eröffnung damit geworben, in der Kopie sei alles genau so, wie im Original, der einzige Unterschied sei, man könne hier alles

anfassen, so mußte man doch schon nach kurzer Zeit zur gängigen Museumspraxis zurückkehren und das Anfassen verbieten. Die mit hohem finanziellen Aufwand kopierten Ausstattungsstücke hatten sich zu schnell

abgenutzt.[32]

 

 

 

 Einen Beitrag zur Diskussion um die Themen Kopie, Reproduktion, Klon, Original und Authentizität hat das doppelte Gartenhaus sicherlich geleistet.

 

 Allerdings zeigen die Texte im Vernissage-Heft zum Thema,[33] wie unterschiedlich die Begriffe "Original" und "originalgetreu" definiert werden können. So wird etwa erklärt, daß Gartenhaus I sei schon lange kein Original mehr, da es im Laufe seiner Geschichte vom 16. Jahrhundert bis heute mehrmals verändert worden sei. Auch sei Authentizität generell eine Projektion von Echtheit, Glaubwürdigkeit und Aufrichtigkeit und so nicht unbedingt an originale materielle Substanz gebunden.[34] Und es wird mehrfach betont, daß die Kopie des Gartenhauses bis in das kleinste Detail der Schrammen an den Möbeln absolut identisch mit dem Original sei.

 

 Dies ist nun aus Sicht der Bauhistorikerin nicht so. Die Kopie betrifft nämlich nur die Oberfläche. Da das Gartenhaus II in den nächsten Jahren auf Wanderschaft gehen soll, z.B. zur Expo 2000 nach Hannover, wurden die Wände aus demontierbaren Holzbauteilen hergestellt.[35] Bei einer bauhistorischen Untersuchung, die sich nie allein auf die Oberfläche verläßt, könnte also schon nach kurzer Zeit festgestellt werden, daß die Wände aus modernen Holzfaserplatten bestehen, es sich also in keinem Fall um Goethes

Gartenhaus handeln kann. Wahrscheinlich ließe sich das schon allein durch Klopfen gegen die Wände oder durch die Schrittgeräusche beim Begehen bemerken.

 

 Bei einer bauhistorischen oder archäologischen Untersuchung des Gartenhauses I hingegen ließen sich sicherlich noch einige seiner Bauphasen aufdecken und damit Teile seiner Geschichte klären.

 Michaelertrakt an der Wiener Hofburg

 

 

 

 Um nun am Ende vollends ein Verwirrspiel mit dem Originalbegriff zu betreiben, sei ein letztes Beispiel genannt.

 

 

 

 In den 1720er Jahren entwarf der Baumeister Joseph Emanuel Fischer von Erlach[36] am Michaelerplatz einen neuen Bautrakt für die Wiener Hofburg. Nur ein Flügelbau wurde errichtet. Der übrige Entwurf blieb zunächst unausgeführt, wurde jedoch durch einen Kupferstich Salomon Kleiners 1733 veröffentlicht. Der preußische König Friedrich II. sah den Entwurf und beschloß kurzerhand, ihn in den 1770er Jahren beim Neubau der Königlichen Bibliothek in Berlin umzusetzen. Diese Idee wurde verwirklicht und das Gebäude entstand in einer kurzen Bauzeit zwischen 1774 und 1780. Der Wiener Michaelertrakt wurde dagegen erst in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts nach den alten Plänen Fischer von Erlachs errichtet.[37]

 

 

 

 Man könnte also sagen, die Kopie in Berlin sei rund 100 Jahre vor dem Original in Wien errichtet worden. Oder war es so, daß Maria Theresia die Wiener Michaelerfront nach Errichtung der Berliner Bibliothek nicht mehr vollenden lassen konnte, da es bedeutet hätte, die Kopie eines preußischen Gebäudes zu bauen? Und brauchte es den zeitlichen Abstand und das Aufkommen des Historismus, um in Wien die Planungen Fischer von Erlachs zu vollenden? Gibt es also gar kein Original des Michaelertraktes sondern nur eine Kopie in Berlin und eine in Wien?

 

 

 

 

 

 Schluß

 

 

 

 Der Erhaltung der Originalsubstanz wird in der Denkmalpflege oberste Priorität eingeräumt. Was ist nun aber diese Originalsubstanz? Für das Beispiel des Danziger Bürgerhauses scheint die Frage zunächst einfach beantwortbar zu sein: Das Original war das Ursprungsgebäude in Danzig. Erhalten blieben davon noch die originalen Teile am Kavaliergebäude auf der Pfaueninsel. Doch was ist mit dem übrigen Kavaliergebäude, dem Erstbau des Architekten Krüger, dem Umbau und der Neukomposition Schinkels? Selbstverständlich handelt es sich dabei ebenfalls um denkmalwerte Originalsubstanz. Das heißt also, daß in der Denkmalpflege mit dem Begriff des Originals nicht allein ein Ursprungsbau bezeichnet wird. Daß dies auch allgemein gilt, läßt sich besonders gut an Goethes Gartenhaus sehen. Würde man nur den Ursprungsbau als Original akzeptieren, könnte es sich gar nicht um Goethes Gartenhaus handeln, da das Gebäude bereits Ende des 16. Jahrhunderts entstand. Von seiner Baugeschichte ist für uns heute vor allem der Zeitraum zwischen 1776 und 1832, als Goethe das Gebäude umbauen ließ und nutzte, wichtig. Schon in diesem Zeitraum kam es zu Veränderungen. So

ließ Goethe das Haus um 1820 zum zweiten Mal renovieren und neu tapezieren. Und auch die späteren Schichten nach dem Tode Goethes geben Aufschluß über die bald einsetzende Verehrung des Dichters und die museale Nutzung des Hauses. All diese Informationen sind im Schichtenaufbau der originalen Substanz gebunden, sofern nicht durch Renovierungen einzelne Schichten wieder entfernt wurden, was leider zum Teil für das Gartenhaus und auch für viele andere Denkmäler zutrifft.

 

 Natürlich kann sich die Einschätzung, welche Phase einer Hausgeschichte als besonders wichtig erachtet wird, im Laufe der Zeit immer wieder ändern. Eben deshalb ist es in der Denkmalpflege so wichtig, möglichst keine dieser Schichten zu entfernen, oder dies jedenfalls nur dann zu tun, wenn eine Bestandssicherung nicht anders möglich ist.

 

 

 

 Als Originalsubstanz wird also die gesamte vielgestaltige Materie eines Bauwerks aufgefaßt. Ob es sich dabei um ein Denkmal handelt oder nicht, ist zunächst einmal von anderen Kriterien abhängig, etwa davon, ob es sich um ein für die Bau-, Kunst- oder Lokalgeschichte wichtiges, aussagekräftiges Werk handelt. Die Aussagekraft wird nun aber wiederum in wesentlichen Teilen von der Existenz originaler Substanz bestimmt. So ist der Informationsgehalt des Mainzer Hauses zum Fuchs III von 1983 hinsichtlich des vorgespiegelten barocken Zustandes gleich Null. Auch die wiederaufgebaute Fassade in Danzig besitzt für die gotische Baugestalt nur die Aussagekraft eines Modells. Beide sind mit ihrer Originalsubstanz lediglich sehr beredte Beispiele für die Haltung im Städtebau der späten siebziger und frühen achtziger Jahre und als solche heute keine Denkmäler.

 

 Zusammenfassend läßt sich schlußfolgern, daß der nur schwierig fassbare und oft mißverstandene Begriff der schützenswerten Originalsubstanz dazu dient, die als denkmalwert erkannte Materie gegen das Auswechseln, Erneuern und Kopieren zu schützen, das Denkmal als Quelle und nicht als Abbild zu erhalten.

 

   
   
 
 
     

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