Claudia Reiche
Künstliches Leben://Mediengeschichten

 
Im Namen einer "Zeitenwende" oder "Jahrtausendwende" versammeln sich gegenwärtig im Fernsehen und in Printmagazinen Trendanalysen und Zufkunftsvisionen. Zentralagent prognostizierter Paradigmenwechsel und grundlegender Veränderungen der Lebensbedingungen ist der Computer. Und zwar nicht mehr als Rechenapparat verstanden, sondern in immer neuen Verbildlichungen und Anwendungen dargestellt, als eine totale Durchdringung aller Wirklichkeitsbereiche. So kann "Computer" ebenso im Bild einer globalen Vernetzung oder als bis ins Körperinnere vordringende Nanotechnologie in Szene gesetzt werden: jedes Beispiel etabliert "ihn" wie ein allumfassendes und immaterielles Prinzip.

Schlagzeilen, die sich an Vorbildern aus der Science-Fiction-Literatur orientieren, verkünden technologischen Neuentwicklungen wie unfaßbare Realisierungen mythischer Wünsche oder Befürchtungen: "Blinde können durch implantierten Mikrochip wieder sehen", "Im Computer entsteht eine neue Klasse von Organismen - und sie leben!", "Der Geheimcode des Lebens wird geknackt", "Operation im Cyberspace gelungen", "Der Computer schaut beim Denken zu". Neu ist in diesen Beispielen die unmittelbare Anbindung an die Bereiche Biologie, speziell die Medizin. Im "Informationszeitalter" beginnen hier Grenzen zu verschwimmen zwischen einstigen Gegensätzen wie "Mensch" und "Maschine", "Abbildung" und "Wirklichkeit", und nicht zuletzt zwischen "Informationsstruktur" und "Leben".

Das Laboratorium will diese Veränderungen an Beispielen erforschen und diskutieren. Wie ist der gegenwärtige "State of the Art" des technisch Machbaren? Und wie kann das dargestellt und überhaupt "gedacht" werden? Sowohl am Beispiel aktueller Forschungsprojekte wie an deren medialen Vorgeschichten werden Medienhistorikerinnen, Theoretikerinnen und Künstlerinnen verschiedene Formen der Auseinandersetzung vorstellen.

Ausgangspunkt bilden hierbei die Veränderungen des computererzeugten "Bildes" gegenüber den klassischen technischen Bildmedien. Als variable Datenvisualisierung in beliebiger programmierbarer Gestalt kann zwar ein analoges Bild nachgeahmt werden, jedoch implizieren errechnete Bilder die Forderung nach einem neuen "Bild"-Verständnis, einem neuen "Sehen", da ihre digitale Erzeugung anderen technologischen Möglicheiten und Grenzen unterliegt. Beispiele aus den Bereichen medizinische Visualisierung, z.b. neurochirurgische Navigationssysteme durch den menschlichen Körper, Computeranimationen mit dem Ziel der Erschaffung synthetischer Menschen, Programme zur Generierung künstlichen Lebens im Computer, künstlerische Entwürfe virtueller Realität sollen über den Stand aktueller Entwicklung einen Eindruck verschaffen und ein konkretes Verständnis der neuen Bildqualitäten dieser Computer-Anwendungen ermöglichen.

Die These vom digitalen "Bild" als sogenanntem "belebten Bild", der "radikalsten Transformation des klassischen Bildbegriffs" (Peter Weibel) kann in diesem Zusammenhnag funktional und medienästhetisch diskutiert werden. Welche Effekte haben diese technischen Entwicklungen auf die Vorstellungen des "lebenden Körper", insbesondere auf die Geschlechtlichkeit?

Weibliches als Verfahren (Marianne Schuller) kann sich nicht auf das "Weibliche" als Gegenstand beschränken. Eine Herausforderung bildet insofern der Versuch, die neuen technischen Entwicklungen des digitalen "Bildes" und seine öffentlichen Darstellungsweisen nicht mehr im Modus identifizierender Zuschreibungen insbesondere nach dem alten Muster eines vom Menschen erschaffenen "Lebens" zu begreifen. Immerhin lassen sich nur so medientheoretische und künstlerische Umgangsweisen mit einem neuen Medium erarbeiten, die herkömmliche Topoi der Darstellung erkennen und überschreiten können.

Ein prägnantes Beispiel kann hier der Bereich des "Unheimlichen" bieten, der das Unterfutter jeder vorgetragenen Computereuphorie bildet. Denn als Faszinosum ist medienwirksam nur etwas zu inszenieren, das neue Handlungs- und Erfahrungsmöglichkeiten mit einem Risiko, einer herausfordernden Gefahr verknüpft. So kann etwa die Warnung davor, sich "lost in Cyberspace" zu finden, den Kitzel und das Abenteuer sich der neuen Technik hinzugeben und sie beherrschen zu lernen, nur erhöhen. Über derartige Erscheinungendes "Unheimlichen", die die neuen computergenerierten Bildwelten und ihre Simulationen des Lebendigen begleiten, stellt sich eine Verbindung zum "Weiblichen" her. Nicht nur sind es die zukünftigen technischen Machbarkeiten, die in Science-Fiction-Entwürfen "vor ihrer Zeit" geprägt und mitgestaltet werden, sondern diese phantastischen, technischen Darstellungen folgen und transportieren selbst wiederum Klisches verführerischer und dämonischer Weiblichkeit.

So stellt sich die Frage, ob die aktuelle Hoffnung eines "Verschwindens der Geschlechtsdifferenz im Informationszeitalter" als der sogenannten "Post-Gender- Welt" (Donna Haraway) tatsächlich berechtigt ist oder ob nicht vielmehr in der Darstellung der neuen sensationellen Simulationstechnologien diese selbst geradezu als überdimensionales Gender errichtet werden, das in der Darstellung "weiblich" codiert ist: eine Repräsentation des "Phallus" (Jacques Lacan). Solche phallische Besetzung, wie sie insbesondere das neue computererzeugte "Leben" in seiner wisssenschaftlich aktuellsten Gestalt auszeichnet, zu dekonstruieren, soll die theoretische Perspektive des Laboratoriums bilden.

 

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