Festrede zum 15. Geburtstag von thealit, 28.4.2006

Prof. Dr. Marie-Luise Angerer, Professorin für Gender[]Medien an der Kunsthochschule für Medien, Köln.


Do not exist: europe, woman, digital medium – so lautet der Titel der ab diesem Herbst über die Bühne gehenden Veranstaltungen von thealit – does not exist, eine Aussage, die Jacques Lacan über DIE Frau machte, also über die Frau als Universal-Kategorie. Lacan definierte die Frau vielmehr als »nicht – alles« zu sein, während der Mann jedoch gezwungen ist, so zu tun, als ob er alles ist, um als »konkreter Mann« nicht wirklich zu existieren. Es gibt jedoch viele Frauen, die alle nicht auf einen Nenner DIE Frau eben reduzierbar sind. Man könnte diesen Gedanken wunderbar weiter spinnen, was dieses Nichtexistieren konkreter Männer bedeutet – in der Kunst, Kultur, in der Wissenschaft, in der Politik, im Leben, im Alltag – doch belassen wir es als offene Ausgangsbasis, und warten wir, was thealit in ein paar Monaten hieraus machen wird. Denn thealit – das Frauen.Kultur.Labor hat in den letzten Jahren immer wieder auf wunderbare Weise zu überraschen verstanden: Durch Ausstellungen, Symposien, Publikationen, auch durch Anträge, die, ich darf das als ehemaliges Mitglied der Jury der Bundeskulturstiftung nun ja sagen, ziemlich perfekt vorgelegen sind, sodass man sich mit großer Lust auf diese einlassen konnte.

Thealit ist in den letzten Jahren sprunghaft gewachsen, was ihre Öffentlichkeit betrifft, was ihre Präsenz in den Feldern von Kunst, Theorie, Wissenschaft, Politik angeht.

Der Verein, der vor 15 Jahren, also 1991, mit seiner Arbeit begonnen hat, ist wirklich auf seine beiden Beine gekommen, seine Beginnzeit war auch alles andere als eine ruhige Phase in der feministischen Entwicklung, sondern, aus heutiger Sicht, der Beginn einer äußerst turbulenten Theorie – und Medienentwicklung, in die sich thealit mitten hinein setzte – stets bedacht, die Verbindungen – zwischen Kunst und Theorie, zwischen künstlerischen Praxen, theoretischer Arbeit und der politisch-theoretischen Dimension von Frau nicht aus den Augen zu verlieren. Das Symposion und die Ausstellung »Spin doctoring, Politik, Medien« im letzten Jahr, »Virtual Minds: Congress of Fictious Figures« 2004, »Eingreifen. Viren, Modelle, Tricks« 2003, über Cyber-feminism (2001/02), zur Hand als Medium-Körper-Technik (2000/01), zur Serialität: ihren Reihen und Netzen (1999) und viele andere mehr. Immer am Puls der Zeit, wie die Auflistung unschwer erkennen lässt. Und heute »does not exist – Europe, woman, digital medium«. Ich komme hierauf nochmals zurück, weil wir nach den euphorischen Jahren zu Beginn der 90er Jahre heute eine völlig andere Zeit haben, in der wir uns bewegen: von Frank Schirrmacher zu von der Leyen, von di Fabio bis Eva Hermann wird über die Frauen gehetzt, werden kinderlose Frauen als karrieresüchtig und krank hingestellt, insbesondere von den Frauen selbst, vor allem berufstätigen Frauen, die glauben, ausgekundschaftet zu haben, dass solche Frauen suizidgefährdet sind, weil sie auf ihre wirkliche Bestimmung, die Seele der Familie zu sein, verzichtet haben.

Die Frauen haben sich zuviel herausgenommen, die »italienischen Frauen« z.B. haben den Gebärstreik ausgerufen, die »deutschen Frauen«, noch schlimmer, sind nicht berufstätig genug, doch anstatt Kinder zu bekommen, gehen sie ihren Freizeitaktivitäten nach. (Gestern unter der Überschrift »Cappuccino Luder« von Axel Rühle wunderbar in der SZ kommentiert) Keine dieser Frauen denkt offenbar an den Generationenvertrag, der nicht unterzeichnet worden ist bzw. an den die »Feministinnen der 1. Stunde« nicht eine Sekunde gedacht haben. Sie sehen, meine vielen Anführungszeichen – denn wer sind diese Italienerinnen, Deutschen, Feministinnen.....? Wer spricht für wen und richtet sich an wen?

»Wir sind zurück in die 50er Jahre gefallen, wir haben die Emanzipation verloren«, meinte deprimiert eine Autorin in Der Zeit letzte Woche. Was ist geschehen? Wer hat was verloren, was ist verloren gegangen, und wer beklagt einen Verlust?

Ich denke, das diesjährige Festival von thealit könnte nicht zeit- und themengerechter sein. Nationalität, Staat, Frau, Bevölkerung, Volkskörper, und das Netz der Daten, denn so muss man sich digital medium vorstellen, als jener unsichtbare, sehr effektvolle Datenstrom, der Informationen, Knotenpunkte, Vernetzungen erzeugt, an der nicht-alle teilhaben, welche nicht für alle bestimmt sind, die jedoch alle umfassend kontrollieren suchen.

Klar wird hier, dass der Verlust ein imaginärer ist, der sich in der Partikularität der Geschichte sowie des Alltäglichen nicht als Verlust manifestiert, sondern als Gang der Geschichte, als willkürliche, zufällige Begegnungen und Ereignisse:
Nie gab es sie, DIE Familie, als Hort der glücklichen Kinder und Hausfrauen, weder im Mittelalter, noch in der Moderne oder Postmoderne. Wir wissen dies, es ist historisch nachvollziehbar, dennoch weint ein Zeitgeist diesem Idealzustand heute nach, um entsprechende Kräfte zu mobilisieren, die auf ein Dispositiv – Europa, Frauen, Medien – hin arbeiten.

Thealit sagt: does not exist – und streicht das exist durch, um klarzumachen, dass dies alles sehr wohl als politisches Objekt klein a existiert – als ein Begehren, das die Frau sucht, Europa sowie das digitale Netz.

Wenn ich vorhin angesprochen habe, dass die Zeiten sich spürbar verändert haben, heißt dies auch, dass die Arbeit in diesen Zeiten sich sichtbar verändert hat, dass die Theorien sich komplexe Gedankengebilde erarbeiten müssen, die einfache Schattierungen verneinen, Theorien, die das »does not exist« Ernst nehmen und dann fragen, was existiert wodurch und wie.

Ein Verein wie thealit spürt diese Veränderungen sicherlich sehr stark: durchaus positiv (die von mir angesprochene Öffentlichkeit und Präsenz), doch gleichzeitig sind die Anforderungen – an sich selbst – sehr andere geworden. Was bedeutet feministische Kulturarbeit, was muss ein feministisches Labor leisten, welche Denkarbeit, welche künstlerischen Praxen sind möglich?

Die Frauen von Thealit arbeiten gemeinsam, d.h. die Ideen und ihre Umsetzungen werden gemeinsam erarbeitet und trotz Verantwortung einzelner Frauen (Theorie und Ausstellung) von allen getragen.

Bemerkenswert ist an thealit, dass sie nie mit dem Begriff gender operiert haben, dass sie a) konsequent zu ihrem Labor der Frauen gestanden sind und b) in ihrer thematischen Ausrichtung genauso konsequent verfolgt haben, dass gender kein Sujet ist, sondern etwas, was sich produziert in all den Themenfeldern, die hier bereits genannt worden sind, in der Hand wie in den Tischsitten, in den Virtual Minds ebenso wie im Spin doctoring. Seit diesem Jahr gibt es nun auch eine neue Publikationsreihe, die zusätzlich zu den jährlichen Veranstaltungs-Publikationen eine neue Perspektive aufmacht - »labor:theorie«. Diese wird die thematischen Netze einzelner theatlit-Mitarbeiterinnen aufspannen, in denen die jeweilige Autorin über einen Zeitraum eine Dichte auskundschaften kann, worin dem Bezug Wissen:Kunst konsequent die Kategorie Frau eingeschrieben wird. Die geplanten Bände behandeln den Digitalen Feminismus, Orientierungen zwischen Medien, Technik und Diskursen, sowie das Verhältnis von medien und wissenschaft........weitere sind in Planung.

Weshalb ich so betone, dass sich thealit konsequent gegen die flächendeckende Bezugnahme auf die Kategorie gender positioniert, hat folgenden Grund. Spätestens mit der Entdeckung des gender mainstreaming von Politik, Universitäten sowie der öffentlichen Verwaltung hat gender das berühmt-berüchtigte Versteinerungssyndrom befallen. Aus einer Denkkategorie – mit einer gewissen verbleibenden Unschärfe – ist eine Selektions- und Verteilungshandhabe entstanden, die explizit demokratischen Spielregeln zu folgen vorgibt (es selbst auch glaubt), um zu verschleiern (vor sich selbst zu verdrängen), dass Werte, Macht, Rituale, Verteilungen und Zuschreibungen keinen mathematischen Rechnungen folgen, sondern wiederum nur bestätigen, wenn auch unfreiwillig, dass geschlechtliche Beziehungen/Verhältnisse/Bezüglichkeiten kein 50:50 treffen kann, sondern diese sich vielmehr auf einer schrägen/schiefen Lage befinden.

Ich habe früher angemerkt, dass eine feministische Theorie und Praxis sich heute anderen Zwängen und durchaus Feinden gegenüber befindet als in den 70er Jahren, anderen auch als vor 15 Jahren.

In einem Artikel, über den ich zufälligerweise letztes Jahr gestolpert bin, schreibt ein gewisser Edmund Standing (nomen est omen) von der University Cardiff über Judith Butler, Sandy Stone, Donna Haraway u.a., über das Verbindende ihres jeweiligen Denkens (und Schreibens) zu sex, gender und Sexualität, und kommt zu folgendem Schluss: alles sei getrieben von purer Ideologie, ohne jede biologische und medizinische Evidenz. Es seien linke Positionen, esoterische - im Falle von Butler - angehauchte, politisch korrekte, lifestyle-mäßige Positionen, und hinter all dem stünde die Annahme, dass gender und sex machbar seien, weil wünschenswert und zu einem besseren Leben führend. Dies alles, obwohl Untersuchungen längst bewiesen hätten, dass Hormone und Gene sich nicht ohne weiteres täuschen lassen würden, sondern klare Informationen enthalten, was weiblich und männlich, und vor allem, wer weiblich oder männlich sei. Das sind Stimmen, die nie leise waren, doch heute werden sie in akademischen Kreisen wieder laut, und auch in der Kunst sind Stimmen wieder zu vernehmen, die behaupten, weniger gute Arbeiten von Künstlerinnen auftreiben zu können (wie bei der diesjährigen Berliner Biennale zu hören war). Und das sind die harmloseren Beispiele, um den heutigen Abend nicht zu verderben – ich könnte Ihnen noch andere Geschichten erzählen, wie z.B. die Herren Francois Ansermet und Pierre Magistretti sich die Individualität des Gehirns erklären: also wir nehmen Freud (wörtlich und für immer gültig) und dann mischen wir psychische und synaptische Spuren und heraus kommt eine neue Sicht auf den Menschen, der....als kleiner Junge einmal von seinem Dienstmädchen verführt wurde (denn das ist die Ausgangslage der beiden, wie zu Zeiten Freud ---- es gewesen sein muss und wenn sie nicht gestorben sind, so schreiben sie eben noch heute) All dies zusammen und viele Aspekte, die ich heute Abend nicht benennen konnte, führen für mich dazu, sagen zu können, das ich mich sehr freue, dass thealit nicht nur 15 Jahre überlebt hat, sondern lebendiger ist als je zuvor. Und dass ich mir ganz egoistisch wünsche, dass thealit mit dieser Lebendigkeit die nächsten Jahre weitermacht, in Kooperation mit ihren Partner-Institutionen und Verbündeten innerhalb und außerhalb der Akademien.

Ich möchte Andrea Sick, Claudia Reiche, Ulrike Bergermann und Lola Castro Ruiz stellvertretend für alle anderen Mitarbeiterinnen für ihre kreative und energievolle Arbeit im Namen des Beirats danken – und ich denke, in den Dank werden sicherlich alle Mitglieder, Besucherinnern, Gäste und bei thealit in den vielen Jahren Mitwirkenden mit einstimmen!